Freitag, 7. November 2025

Von Zeitersparnis und der Muße

Gestern saßen wir mit unseren Freunden hier am Ort bei unserer wöchentlichen  Halbzeitpause zusammen. Vor ein paar Jahren habe ich hier schonmal über diese wöchentliche Tradition darüber geschrieben. Als ich eben den Text von damals gelesen habe musste ich echt grinsen. Ich hatte mir überlegt wie das wohl aussieht, wenn unsere vier Jungs ins Teenageralter kommen. Und es ist genauso gekommen wie ich mir das vorgestellt habe: Sie hängen meist schweigsam und etwas peinlich berührt auf dem Sofa neben uns und verschwinden nach dem Essen zusammen in einem ihrer Zimmer. Dort machen sie Teenager-Sachen - von denen ich keine Ahnung habe - und tauchen nur dann auf, wenn sie Hunger haben (also sehr häufig). Dann lassen sie uns wieder ungestört weiterreden. 
Gestern haben wir uns über die Frage unterhalten: Warum sind unsere Leben gefühlt so voll? Warum haben wir so wenig Zeit - gerade auch für Dinge, die uns wirklich wichtig sind? Wenn wir an unsere Großeltern denken, dann muß man doch sagen: Wir haben unfassbar viel Zeitersparnis! Der Waschtag hat sich durch die Technik in ein paar Handgriffe reduziert. Auch Spülmaschine und elektrischer Ofen nehmen uns viel Arbeit ab (um nur mal ein paar Beispiele zu nennen). Eigentlich sollte uns das doch alles richtig viel Ruhe und Freiraum schenken. Aber, wie wir alle wissen: Es ist nicht so! Im Gegenteil. Nie zuvor in fühlten sich die Menschen so erschöpft und überfordert und klagen über ein viel zu volles Leben. Warum ist das so?
 
Neulich habe ich ein spannendes Interview mit dem Soziologen Hartmut Rosa gehört. Er schilderte das Problem so: Mit jeder zeitsparenden Erfindung, haben sich auch die Möglichkeiten erweitert. Natürliche Grenzen wurden ausgedehnt, z.B. mit der Erfindung der Glühbirne. Früher ging man einfach ins Bett wenn es dunkel wurde, heute kann man bis tief in die Nacht arbeiten. Mit der Erfindung des Autos - und dann später mit dem Flugzeug - konnten wir Alltagsstrecken schneller bewältigen. Gleichzeitig wurden wiederum die zurückgelegte Distanzen um ein vielfaches größer als die Zeitersparnis. Dank der digitalen Erfindung können wir viel effektiver kommunizieren aber die Anzahl der Kontaktmöglichkeiten wurden so erhöht, dass viele von uns auch mit schnell geschriebenen (oder aufgesprochenen )Antworten nicht gegen die Menge der Nachrichten ankommen. Und jeder der ein Smartphone besitzt weiß, dass diese Teile wahre Zeitfresser sind! 
Briefe schreiben, Rasenmähen, kochen, Lesen... alles wird immer effezienter und zeitsparender. Der Mähroboter fährt gemütlich durch den Garten, während wir im Haus gestresst vor den Diplays sitzen. Anstatt und mit einem Buch in Ruhe in die Sonne zu setzen, bietet die KI uns an,  eine Zusammenfassung zu liefern damit wir durch die Zeitersparnis noch mehr Termine in unseren Alltag packen können. Und wozu noch das tagelange Laubrechen, wenn wir mit einem Laubbläser in einer halben Stunde fertig sind? Und genau hier liegt - laut Hartmut Rosa - auch ein Teil vom Problem: Wir lassen uns die Dinge nehmen, die wir mit Muße erledingen können. Ruhige Arbeiten, bei denen wir uns über uns, über Gott und die Welt Gedanken machen können. Ich verstehe das so: Muße können wir bei allen Tätigkeiten im Alltag erleben, die wir nicht hektisch erledingen können. Das variiert auch je nach Persönlichkeitstyp (oder Lebensalter). Ich finde man kann nicht hektisch Geschirr abtrocknen oder die Wäsche bügeln. Diese Tätigkeiten sind wirklich beruhigend für mich. Aber Gartenarbeit bringt mich (im Gegensatz zu Heio!) oft eher ins Stress - besonders wenn ich die vielen unerldigten Aufgaben im Garten warhnehme. Nur das Laubrechen in der Herbstsonne - das ist wirklich Wellness für meine Seele! Ebenso die ruhigen Handgriffe in der Küche, wenn ich einen ganzen Vormittag am Bildschirm verbracht habe.  Wenn mir alles zu viel wird, dann hilft nicht die Fertigpizza, die ich schnell in den Ofen schiebe - ok, manchmal schon auch;-) - aber was ich eigentlich viel eher brauche ist dann: Ein langsames Gericht kochen. Schnittlauch und Kartoffeln aufs Schneidebrett legen. Wasser aufkochen. Karotten raspeln. Den Ofen vorwärmen....Alle diese kleinen Arbeitsschritte helfen mir dabei, innerlich ruhiger zu werden. Mein Menschsein anzuerkennen. Mich auch mit denen zu verbinden, die vor uns waren. Ich sehe meine Oma vor mir, wie sie die Kartoffen in Ruhe geschält hat,  in einem Leben das erfüllt von Arbeit und Mühe war. Von Schönheit und Schmerz. Beides hat sie tief wahrgenommen. Und wenn Abends die Gebetsglocke vom Kirchturm geläutet hat, hat sie alles aus der Hand gelegt und ist ganz still geworden, um ihre Hände Gott hinzuhalten.
 
 Ich bin wirklich froh über die Erfindungen, die meinen Alltag erleichtern! Jedes Mal, wenn die Halbzeitpause Zuende ist, räume ich dankbar das schmutzige Geschirr in die Spülmaschine und lege mich ins Bett, während die Maschine den Abwasch erledigt. Aber ich will auch darauf achten, dass ich mir die Dinge nicht nehmen lasse, die mir Muße schenken. Die mich aus einem gestressten Zustand (in dem ich mich leider allzuoft befinde) in ein geerdetes und demütiges Leben zurückholen. Ich will die Wäsche aufhängen, den Boden fegen, Brotteig kneten und wenn draußen die Herbstsonne scheint das Laub unter den Walnussbaum zusammenrechen. Ich will meine Arbeit verrichten bis am Abend die Gebetsglocke läutet. Dann will ich meine Hände und mein Leben Gott hinhalten, seinen liebenden Blick wahrnehmen und mich daran erinnern: ER hat alle Zeit der Welt für mich.