Mittwoch, 28. Januar 2015

Loslassen

Er hat kaum zurückgeschaut. An der Hand seiner Tante, den Koffer hinter sich herziehend, ging er einfach davon. Bereit das erste Wochendende ganz ohne Mama oder Papa zu verbringen.


Heio hat mir zu Weihnachten zwei Tage Wellness in einem Schwarzwaldhotel geschenkt (was für ein tolles Geschenk!) und ich habe mich schon sehr darauf gefreut. Aber es war auch klar: das wird eine Zeit die wir uns als Paar, zu zweit nehmen wollen und Samu wird in der guten Obhut seiner Tante gelassen. Ich wußte: er schafft das - und trotzdem: wie er mit seinem geliebten Rollkoffer abmarschierte, war mein Herz ganz schwer und am liebsten hätte ich ihn in`s Auto gezogen und mitgenommen.

Im Schwarzwald war es dann richtig schön. Zwei Tage mal nicht vor allem Mama und Papa zu sein, Zeit miteinander zu haben- ich bin erstaunt darüber, wir gut uns diese kurze Zeit zu zweit getan hat. 
Ich habe versucht nicht zu oft an den kleinen Sohn zu denken. Nach der Rückenmassage lag ich in einem Ruheraum und lauschte einer CD mit Entspannungsübungen nach Jakobsen. Anspannen. Loslassen. Ruhig werden. Entspannung spüren. Tief atmen. Loslassen....
Nachts habe ich dann nicht wirklich gut geschlafen. Wir hatten keinen Handyempfang und der Gedanke, dass wir im Notfall nicht erreichbar waren, machte mich ein wenig unruhig - Jakobsen hin oder her.  
Und dann hat es so gut getan den kleinen Sohn wieder in die Arme zu schließen.

Ich hätte nie gedacht, dass Kinder erziehen von Anfang an so viel mit loslassen zu tun hat.
Nicht die überbehütende Mama zu sein, sondern ihm das Leben, so wie es ist, Schritt für Schritt zuzutrauen. Unsere Welt ist wunderschön. Kaputt. Erlösungsbedürftig. Wir alle sind wunderschön. Kaputt und erlösungsbedürftig. Es gibt keinen Weg, wie ich meinem Sohn dieses Chaos ersparen kann. Er trägt es ja selbst in sich. 

Ich glaube dieses Loslassen ist etwas, was ich üben muss. Vielleicht ist es so, wie bei den Skispringern:
Vor einigen Jahren stand ich auf einer Großschanze in Oberstdorf und dachte: hier kann doch kein Mensch ernsthaft runterspringen. Wie schafft man das bloss? Aber keiner dieser mutigen Springer beginnt seine Sprünge auf der Großschanze. Als Kinder trainieren sie täglich auf kleinen Schanzen und lernen dabei die richtige Technik. Dann springen sie langsam auf größeren Schanzen und nach langer Zeit und viel intensivem Training können die Skiadler dann mutig über die Großschanze zum Flug ansetzten.


Schanze in Oberstdorf


Samu eine Nacht bei der Tante übernachten lassen und ihn dann wieder in die Arme schliessen. Seine Streitigkeiten öfters mal alleine austragen lassen und mich nicht gleich einmischen (soange keine spitzen und scharfen Gegenstände involviert sind:-)). Nicht vor jedem Schmerz bewahren wollen, aber da sein wenn er Trost braucht.
Ein wenig loslassen. Eine kleine Schanze.

Meine Schwester ist schon einige Schritte weiter: letztes Jahr hat sie ihre große Tochter für einen langen USA-Aufenthalt verabschiedet. Größere Schanze. 

Unser Staubsauber, ein Geschenk meiner Tante, erinnert mich an ihre Fähigkeit loszulassen. Sie hat sich entschieden ihren gesamten Besitz zu verschenken, bevor sie ihre große Wohnung gegen ein kleines Zimmer im Altenheim eingetauscht hat. Noch größere Schanze.

Und dann kommen die Momente wo wir auf der Großschanze stehen und die großen Sprünge im Loslassen vor uns liegen. Ich konnte meine Mutter dabei beobachten wie sie meinen sterbenden Vater, ihrem geliebten Wegbegleiter, zugeflüstert hast: Du darfst jetzt gehen. Ich lass dich los. Wir schliessen uns im Himmel wieder in die Arme.

Gehen lassen. Gelassenheit. Loslassen zeugt von einer großen inneren Freiheit und von Vertrauen.
.
Heute ist meine Herausforderung  das Üben auf der kleine Schanze. Kleine Vertrauenssprünge. 
Mit offenen Händen leben. 

Etwas verschenken, woran mein Herz hängt.
Internet-freie Zeiten.
Auf etwas verzichten was ich gerne hätte.
Jemand mal nicht verbessern, auch wenn ich es vielleicht besser weiß.
Einfluß loslassen und Jüngeren den Vortritt lassen.  
Lebensphasen mutig abschliessen (und mit 45 nicht mehr dem Traumkörper nachjagen, sondern dankbar sein, dass alles noch funktioniert).
Nicht von Schuld und Fehlentscheidungen zermürben lassen, sondern Vergebung annehmen und weitergehen. 
Sorgen abgeben. Ganz entschieden. Immer wieder.
Mich von Menschen bewusst verabschieden.

Mit offenen Händen lieben.

In dieser wunder-vollen, wunden-vollen Welt sich täglich ein wenig mehr in den Wind lehnen, loslassen und erleben, dass wir getragen werden. 
Und der letzte große Sprung trägt uns über die Ziellinie - in eine feste Umarmung und ein sicheres Zuhause.


Donnerstag, 22. Januar 2015

beschissene erste Entwürfe

Das ist jetzt mein dritter Versuch. Seit Tagen versuche ich mir Zeit zu nehmen und etwas sinnvolles zu schreiben. Es ist nicht so einfach. 
Der kleine Sohn ist krank. Die ganzen letzten Wochen hat er sich erfolgreich gegen die Virenflut in der Kita gewehrt, jetzt hat ihn so einen blöden Grippe-Virus flachgelegt. Da gehen sie hin- die schönen Vormittage an denen ich soviel erledigen wollte und mir in Ruhe etwas Zeit zum Schreiben nehmen könnte. Jetzt ist spielen, Rotznase putzen, Nächte durchstehen, malen und Bücher vorlesen angesagt. 

bei diesem Spiel verliere ich immer! Ich verstehe nicht warum?!

kurz mal nach draußen- auf Schienen läuft er am besten

es ist noch still im Park

kalt und wunderschön

die Lokomotive will nicht mehr

Ich versuche abends zu schreiben aber das ist keine gute Idee. Abends bin ich noch begeistert was für gute Gedanken ich habe, wie ein kiffender Jugendlicher, und am nächsten morgen starre ich auf den Bildschirm und denke: was habe ich damit nur gemeint?
Also - nicht veröffentlichen.



Heute morgen ist Samu wieder fit und in der Kita. Ich habe also Zeit zu schreiben, aber ich fühle mich deprimiert. Ich schaue auf andere Blogs ,was mich natürlich noch mehr runterzieht- Mit was für einer Leichtigkeit (so scheint es zumindest!) schreiben andere wunderbare Texte. Wieso ist das bei mir manchmal so schwer?!?

Mein Blick fällt auf ein Buch der Schrifstellerin Anne Lamott über das Schreiben (bird by bird) und ich muß daran denken was sie in dem Kapitel "shitty first drafts" (beschissene Erstentwürfe) schreibt: "Alle Schriftsteller schreiben beschissene erste Entwürfe. Es ist die Voraussetzung für bessere Zweitentwürfe und unglaublich gute dritte Versionen."

Und dann erklärt sie wie wichtig dieser Prozeß ist:  auf den leeren Bildschirm starren, etwas schreiben und wieder löschen, sich durch das Chaos zu arbeiten und:
"6 Seiten Mist zu schreiben und dann in der letzten Zeile etwas zu entdecken, das so gut und wild und wunderschön ist, was du nie entdeckt hättest, wenn du dich nicht durch die sechs Seiten davor gearbeitet hättest.
Das Schreiben muß atmen und sich frei bewegen."

Und sie rät so Anfängern wie mir, etwas barmherziger zu sein. Als wäre ich jemand den ich gerne ermutigen würde und den ich mag. Dann würde ich nicht kopfschüttelnd meine ersten Entwürfe anschauen und sagen: "Was soll das? Das ist doch schrecklich. Was für eine Zeitverschwendung."  Sondern ich würde vielleicht so etwas sagen wie: " Das ist doch schonmal ein guter Anfang. An den holprigen Stellen kannst du später noch arbeiten, aber jetzt mach einfach weiter. Das wird sicher noch richtig gut."

Warum ich jetzt über das Ganze schreibe? Weil ich glaube, dass das was Anne Lamott sagt, nicht nur auf das Schreiben zutrifft, sondern eigentlich auf mein ganzes Leben.

Ich mag keine beschissenen Erstentwürfe. Und gerne würde ich verhindern, dass andere sie mitbekommen. Ich würde gerne gleich alles richtig machen.  Und wenn es nicht  so funktioniert, wie ich mir das vorstelle, dann bin ich schnell dabei es hinzuschmeissen und mich als Versager zu fühlen. 

Ich würde gern die "6 Seiten Mist"  weglassen und nur die letzte klare Zeile übernehmen.

Aber das Leben ist anders.

Ich brauche drei Anläufe (mindestens!), damit der Hefezopf wirklich so gut wird, wie es das tolle Rezept verspricht.
Manchmal braucht es fünf völlig uneffektive Tage, in denen ich gefühlt nur rumhänge und nichts auf die Reihe bekomme, damit ich dann am 6. Tag plötzlich einiges richtig angehen und klar erledigen kann.
Manchmal braucht es ein langes Gespräch und viele suchenden, unbedeutenden Worte um den einen Satz zu finden, der dann wirklich hilfreich ist. 
Manchmal braucht es Streitgespräche und Missverständnisse damit Beziehungen an den Punkt komme, wo wir einander verstehen und stehen lassen können. 
Manchmal braucht es mehrere erfolglose Erziehungsversuche und halbherzig engeschlagene Richtungen bis ich etwas gefunden habe, was zumindest ansatzweise eine Lösung sein könnte.

Das Problem bei mir ist, dass ich mich so oft mit anderen vergleiche. Und meistens vergleiche ich dabei meine Erstversuche mit den glorreichen Drittversuche der Anderen. 
Ich denke dann: warum kann ich nicht einfach auch so entspannt Grenzen setzen, warum fallen mir solche Sätze nicht ein und überhaupt - was bin ich nur für ein Versager. Vergleichen ist wirklich eine total beschissene Sache. Und es funktioniert einfach nicht! Weil wir die Kämpfe der Anderen meistens nicht sehen. Und weil wir alle so wunderbar verschieden sind.

Also will ich lernen barmherziger zu sein, geduldiger, mit mir und mit anderen. Wenn ich unsere Erstversuche anschaue will ich lächeln können und sagen:
"Das ist doch schonmal ein richtig guter Versuch. Bravo. Du bist mittendrin etwas wunderschönes zu entdecken. Mach einfach weiter. Auch wenn es dir heute noch nicht so gelingt. Versuch es morgen nochmal. Es wird es gut werden."

Das Leben soll atmen und sich bewegen. 

Es sind nicht nur die wunderbaren Momente die zählen
Es braucht auch die ereignislosen Tage, die chaotischen Versuche, durchgestrichene Zeilen, Wutanfälle, misslungene Essen, Missverständnisse, Wartezeiten, die Krisen, die Dinge die uns heute überfordern und die offene Fragen. Sie könen uns vielleicht in etwas so gutes, wildes und schönes führen, was wir niemals auf Anhieb gefunden hätten. 



Dienstag, 13. Januar 2015

sinken

Es ist mitten in der Nacht. Ich wache aus einem Alptraum auf und mein Herz rast wie verrückt. 
Ich habe geträumt ich stehe kurz davor einen wichtigen Vortrag zu halten. Leute strömen in den Saal, ich sitze in einem Zimmer hinter der Bühne und suche meine Notizen und kann sie nicht finden. Ein paar Skizzen fallen mir in die Hände, die ich hektisch und verständnislos durchblättere. Um was geht es hier? Was soll ich sagen? Das Telefon läutet. Ich habe keine Zeit ranzugehen, hebe trotzdem ab. "Noch 8 Minuten", sagt eine drohende Stimme. Freunde strecken den Kopf zur Tür herein und fragen mich ob ich noch Karten für sie habe, weil sie keinen Sitzplatz finden. Ich bin total überfordert und wache kurzatmig und mit hektisch, stolperndem Herzen auf. Zum Glück. Ich liege wach, versuche mein Herz zu beruhigen.

Es geht schon seit einigen Nächten so. Und auch tagsüber laufe ich mit klopfendem Herzen durch die Gegend. Und ich weiß nicht wirklich warum.

Heute habe ich ein wenig Zeit für mich alleine und gehe eine Runde spazieren. Es ist mein Lieblingswetter: stürmischer Wind, Wolkenfetzen die am Himmel entlang jagen, klare, kalte Luft. 



Das Herz pocht, aber ich genieße den Wind auf meinem Gesicht und laufe lächelnd um die Ecke. Meine Nachbarn stehen im Garten, ich will sie freundlich grüßen, da sehe ich dass sie sich weinend im Arm halten. 
Es ist die Art von weinen, wenn etwas untröstliches, zutiefst erschütterndes passiert ist. Wenn man etwas - jemand- unwiderbringlich verloren hat. Ich gehe schnell weiter. 
Während sich ein Gebet in mir formt, frage ich mich gleichzeitig: ist es das was mein Herz fürchtet? Etwas was um die nächste Ecke liegt, was mich trifft, auf das ich nicht vorbereitet bin? Zukunftsangst? 
Eigentlich bin ich kein ängstlicher Typ... aber was beunruhigt mein Herz?

Fühle ich mich überfordert, unfähig in Beziehungen, meinen Aufgaben, Freundschaften? Dieses blöde Gefühl das mich manchmal überfällt: egal wie ich mich anstrenge, egal was ich gebe - es wird niemals reichen.  Ist es eine Ahnung, dass ich dieses Jahr etwas geben soll, was ich nicht in mir habe, sondern empfangen muß? Oder ist es der ständig unterbrochene, kurze Nachtschlaf (seit mehr als 3 Jahren), der langsam mein Herz zum stolpern bringt? Ich weiß es nicht.

In der Bibel lese ich, dass Gott meine Seele beruhigen kann - wie eine Mutter ihr Baby.  Was für ein tolles Bild!
Ich denke daran wie Samu als Baby abends voller Unruhe war. Die Windel war gewechselt, Fläschchen getrunken, "Bäuerchen" gemacht - er schrie weiter. Warum? Das hilflose Bündel sah mich verzweifelt an. Ein Blick der sagt: finde raus was mir fehlt, ich weiß es nicht! Ich habe ihn (gefühlt) die halbe Nacht durch die dunkle Wohnung getragen haben bis er endlich, endlich ruhiger wurde und in meinen Armen einschlief. 

Gott die Mutter. Meine Seele das Baby. 

Morgen gehe ich zu meiner Seelsorgerin. Vielleicht finden wir gemeinsam den Grund für das Herzklopfen. Vielleicht sind es auch die Worte von Emily Freeman, die ich hören muss:

"Lass die Hände sinken und gib den zitternden Knien nach.
 Lass  deinen Halt los und öffne die Arme weit.
 Senke den Blick und schließe die Augen.
 Wir schaffen dieses Leben nicht.
 Nicht allein.
 Nicht ohne zuerst zu sinken.
Wir versinken in Gott und schauen zu ihm, aus der Tiefe unserer Unfähigkeit.
Und hier erkennen wir wer er ist.
Und hier verstehen wir, wer wir sind."

Vielleicht geht es genau darum: loszulassen. Zugeben, dass ich das Leben nicht schaffe. Ich habe keine Ahnung was kommt und ich kann mich nicht darauf vorbereiten. Kein Konzept, keine Klarheit, ich muss auf die Bühne des Lebens, mit leeren Händen.
Ich bin nur ein Mensch. Ich habe meine Begrenzungen. Ich fühle mich schwach. Es wird nicht reichen. 
Ich verliere den Boden unter meinen Füßen und sinke. In Gott. In ein Meer voller Liebe.
Ich werde getragen, hin und her, zur Not die ganze Nacht. 
Bis meine Seele sich wieder beruhigt.
Urvertrauen atmet.  

Oder wie es das wunderschöne Lieblingslied meiner Nichte sagt:

"when oceans rise, my soul will rest in your embrace.
for I am yours and you are mine."