Dienstag, 21. November 2023

Worte fasten

Eben komme ich von einem kleinen Spaziergang zurück. Ich merke immer wieder, wie gut mir das tut: kurz nach draußen gehen, wenn es gerade mal nicht regnet. Was im November gar nicht so einfach ist! Da heißt es spontan sein. Es regnet nicht? Alles liegenlassen und rausgehen. Gedanken ausführen.  Manchmal ist nämlich in meiner Oberstube ein Gedränge, das schlimmer ist, als auf dem Stuttgarter Weihnachtsmarkt! Dann muss ich dringend ein bisschen Luft zwischen die ganzen Worte lassen. Und jetzt, wo ich wieder hier am Schreibtisch sitze merke ich, dass es genau das ist was ich in den nächsten Wochen tun will. Weniger Worte machen. In die Adventszeit, die schon um die Ecke liegt, nicht mit vollen Händen stolpern. Ich will, nach einem ziemlich vollen Jahr und vielen wunderbaren Begegnungen, wieder das Stillwerden lernen. Auch hier. Ich will versuchen bis Jahresende nur wenig zu schreiben. Ein bisschen Platz freiräumen. Herberge sein. Falls Jesus Raum braucht. Mal schauen ob es mir gelingt. 

Früher war die Adventszeit eine Fastenzeit. Daran erinnert mich Heio jedes Jahr, wenn ich glücklich die erste Packung Dominosteine aufreiße. Also das mit dem Essenfasten klappt bei mir leider sehr schlecht. Schon allein wenn ich jetzt daran denke, drängt es mich in die Küche zu eilen und mir ein Marmeladebrot zu schmieren. Ich glaube das liegt in meinen Genen. Im Gegensatz zur Familie meines Mannes (alles etwas zu dünne Menschen!)  waren wir zuhause gute Esser. Und dieser Begriff wurde durchaus als Kompliment verstanden. 
Neulich hat ein Mitglied meiner Herkunftsfamilie verkündet, dass sie einen Tag fasten möchte. Also nur Säfte. Und Suppe. Gegen Mittag bekam ich eine Nachricht von der Person, dass sie nun doch zum Danielfasten übergehen würde (irgendein starker innerer Eindruck).  Musste kurz in der Bibel nachschauen, was das ist. Aha. Gemüse und Obst geht also auch in Ordnung. Am späten Nachmittag bekam ich dann ein Bild von einem Teller voll beladen mit Maultaschen geschickt. Kann mir zwar nicht vorstellen, dass Daniel am babylonischen Königshof Maultaschen bekam, aber gut. Ich habe vergessen, welche Auswüchse das Fasten dann am Abend angenommen hatte (Kakao ist ja auch eine Frucht, die an Sträuchern wächst, wenn man es genau nimmt, oder?), aber ihr versteht was ich meine. Genau das passiert, wenn jemand aus meiner Familie sich entscheidet zu fasten. Am Ende des Tages essen wir mehr als wir üblicherweise essen würden. 
Ich hoffe das geht mit jetzt nicht auch so, wenn ich hier schreibe, dass ich weniger Worte machen will. Genau jetzt fällt mir nämlich noch ganz viel ein, was ich euch unbedingt noch gerne schreiben würde. Und am Ende wird dieser Beitrag dann womöglich länger als gewöhnlich. Deshalb mache ich jetzt besser Schluß. Ich will wieder mehr Zuhören. Diese Einladung annehmen, die ich gerade in mir spüre, einfach ein wenig bei Jesus zu sitzen. Nicht viel zu sagen und tun. Was mir fast so schwer fällt wie das Essenfasten. Aber ich will das einüben. Auch als kleine Vorbereitung für die Adventszeit.
 

Herr, mach mich still.

Und rede du. 

Amen. 



Mittwoch, 15. November 2023

Ein schwieriger Besucher

Gestern hat es bei uns so richtig gekracht. Es ist die Pubertät, die mit matschigen Stiefeln und jeder Menge sperrigen Gepäckstücken und einem Schlafsack im Hausflur stand und mit einem gewaltigen Rums die Türe zugeschlagen hat. Ich fürchte  sie wird sich nun häuslich bei  uns einrichten. Für die nächsten Jahre. Oh weh. Ich fühle mich überhaupt nicht gut vorbereitet auf diesen schwierigen Besucher! Abends krame ich hektisch nach dem Buch, das ich mir vor einiger Zeit bestellt habe, das aber neben spannenden Romanen immer den kürzeren gezogen hat.  


Bis spät in die Nacht habe ich darin gelesen, nachdem ich die Sache mit dem Einschlafen aufgegeben habe. Zum ersten Mal, seit 12 Jahren, habe ich es nämlich nicht geschafft mich am Abend mit meinem Kind zu versöhnen. Ich war so sauer über sein Verhalten - ich hätte mindestens noch eine Abendstunde mehr gebraucht um mich zu beruhigen, um dann ein friedliches Gespräch führen zu können. Alles was ich noch geschafft habe war, ihn mit zusammengebissenen Zähnen zu segnen. Wie jeden Abend. Ein kurzer Moment, der ein wenig Ruhe in mein Herz gebracht hat. Die Bereitschaft zu segnen was ist. Gottes TROTZDEM, seine Gnade über uns auszusprechen. In meiner ganzen Hilflosigkeit. Das tat gut. 
Nach dem Amen hat sich das Kind (das nun ja eigentlich kein Kind mehr sein will, und meins schon gar nicht!) wortlos zur Wand gedreht und schlief unverschämt schnell ein. Was mich wieder etwas in Wallung brachte (Hitzewallungen gibt es in meinem Alter passenderweise auch gleich Gratis dazu!) Also lag ich bei offenem Fenster und mit klopfendem Herzen im Bett und blätterte im obigen Buch. The emotional lives of teenagers. Die Autorin und Psychologin Lisa Damour bringt mir darin die Lebenswelt eines jungen Menschen nahe, dessen Gehirn im laufenden Betrieb und ganz ohne Narkose (für die Eltern!) umgebaut wird. Sie erzählt von verzweifelten Eltern, von Auseinandersetzungen, die den unseren fast punktgenau ähneln, denen sie auf ihre Beschreibungen schlicht antwortet: "Ich wäre sehr besorgt, wenn es anders wäre!" Und sie fügt hinzu:

Wenn jeder seinen Job macht, dann gibt es in der Pubertät aufsässige Teenager, die für mehr Freiheit und Eigenständigkeit kämpfen als ihnen gut tut, und Eltern, die zu vielem Nein sagen müsssen, ein paar vernünftige Regeln aufstellen und Konflikte nicht vermeiden sollten.
Hört sich nach einer Menge Spass an. Besonders für harmoniebedürftige Menschen, zu denen ich mich leider zähle. Ich mag ein friedliches Zuhause! Aber die Pubertät, dieser fiese Besucher, scheint da ganz anderer Meinung zu sein (er hat wohl auch ein paar Boxhandschuhe im Gepäck). Lisa Damour schreibt ganz gelassen:

Lasst uns nicht versuchen Konflikte zu vermeiden, sondern wann immer möglich konstruktive Auseinandersetzungen zu haben. Das Kennzeichen für einen konstruktiven Konflikt ist, dass jede Seite versuche die Perspektive des anderen zu verstehen.
Klingt gut. Und Papier ist ja bekanntlichermaßen - im Gegensatz zu mir! - sehr geduldig. Aber ich will versuchen, das zu verstehen. Ganz konkret empfiehlt die Autorin: Nachdem sich die ersten heftigen Gefühle verzogen haben und man wieder in der Lage ist miteinander zu reden und nicht zu schreien, sich hinzusetzten und zu sagen: "Pass auf, mein geliebtes Kind, ich versuche jetzt mal die Situation von deiner Perspektive aus zu sehen. Wenn ich fertig bin, dann sag mir was ich falsch verstehe oder wo ich etwas wichtiges vergessen habe." Und dann bitte dein Kind das Gleiche für dich zu tun. Und wenn wir solche Gespräche führen, wann immer wir einen anderen Blickwinkel einnehmen und ihn in unseren eigenen Worten vor dem anderen aussprechen, dann - so folgert Damour - wird das fast ausnahmslos Empathie erzeugen. Ich ahne, dass ich in den nächsten Jahren mindestens so viel lernen kann wie mein Kind;-).  (und ich finde diese vorgehensweise würde unserer ganzen Gesellschaft und unseren Gemeinden sicher auch sehr gut tun!) 
 
Mit einem tiefen Seufzer klappe ich kurz nach Mitternacht das Buch zu. Ich kann nur noch müde beten: "Jesus, bitte hilf mir. Ich brauche dich so sehr!!!" Und ich meine ihn lächelnd sagen zu hören: Ich wäre sehr besorgt, wenn es anders wäre.

 

Mittwoch, 8. November 2023

Kleine Zeichen

Diese Woche ist, zwischen Arztterminen, Lesungen und der Dringlichkeit von Herbstspaziergängen, nur wenig Zeit zum Schreiben. Die Gedanken wirbeln in meinem Kopf wie die Herbstblätter vor dem Fenster und auch die Weltlage rüttelt weiter gewaltig an meiner Seele. Dabei stelle ich fest wie wunderbar meditativ Laub rechen sein kann! Und weil der Mann es wieder mal nicht geschafft hat den Walnussbaum im Garten zu beschneiden, schenkt er mir ausreichend Zeit für meditative Übungen. 
In mein Tagebuch habe ich heute morgen über unsere letzten Tage geschrieben: Gesegneter Alltag. Das empfinde ich immer mehr als großes Geschenk. Diese kleinen täglichen Handlungen. Den Frühstückstisch abräumen. Mülltonnen nach draußen bringen. Schreiben. Aufräumen. Essen kochen. Die Freundin auf eine Tasse Tee treffen. Hausaufgaben kontrollieren Nerven verlieren und wiederfinden. Abendsonne. Feuer im Ofen. Müdigkeit. Letzte Handgriffe. Ein Buch auf dem Nachttisch. Einschlafen. Keine Schmerzen, die mich wachhalten. Nur die großen Sorgen der Welt, die ich in die Hand Gottes legen kann. Jeden Abend. Und jeden Morgen. Aufstehen. Ausreichend Gnade einsammeln. Und SEIN Lächeln auffangen. Nie allein sein. Gesegneter Alltag...

Und draußen der Herbst! Der tagsüber das Wetter so launenhaft wechselt wie eine Diva ihr Outfit. Gestern bin ich bei strahlendem Wetter losgelaufen, dann fielen dicke Tropfen aus einer herrlich dunklen Wolke, die dann vom Wind wieder davongejagt wurde. Und dann: das schönste Zeichen am Himmel! Ich glaube so viele Regenbögen wie in diesem Jahr habe ich lange nicht gesehen. Vielleicht brauchen wir es gerade ganz besonders. Diese Erinnerungszeichen. An Gottes Treue. Dass es nicht aufhören wird. Mit Saat und Ernte. Sommer und Winter. Tag und Nacht. Und gesegnetem Alltag. Mittendrin. In allen Stürmen dieser Welt. Kleine Liebeszeichen am Wegrand. Auch unter dunklen Wolken. Immer wieder denke ich an diese Worte von Helmut Thielicke:

Der ruhende Pol, inmitten aller verwirrenden Unruhen ist die Treue Gottes

 


 




Und wer am Wochenende gerne auf eine gemütliche Musiklesung in Esslingen vorbeischauen möchte, Freitag zum Thema "Heimat suchen und HImmel finden" und Samstag "Slow living - aus der Ruhe leben", ist herzlich eingeladen (man kann sich hier noch anmelden).