So langsam nähern sich nun auch in unserem Bundesland die Sommerferien. In genau einer Woche werden wir uns auf der Autobahn Richtung Frankfurt befinden, kurz vor unserem 11-stündigen Flug nach Mexico. Der liegt im Moment wie ein riesiger Berg vor mir. Bisher hatte ich keine Probleme mit dem Fliegen (also dem Fliegen in einem Flugzeug). Vielleicht geht nun die Flugangst von meinem Mann auf mich über, oder es ist mein Alter, dass mir manche Dinge jetzt schwerer fallen, die ich früher völlig sorglos angepackt habe. Meine letzten Fernreisen habe ich immer voller Vorfreude in Angriff genommen. Die sind allerdings auch schon einige Jahre her (oder eher Jahrzehnte?). Als ich beispielsweise mit der Freundin an der Westküste der USA entlang gedüst bin und wir einfach ganz spontan geschaut haben, wo wir übernachten können (schön war's, Martina!). Nur eine Unterkunft, auf unserem Zwischenstopp in New York, hatten wir gebucht - mittendrin in Harlem. Das hat den dicken Ticketverkäufer in der U-Bahn so in Aufregung versetzt, dass er sogar seinen Schalter verlassen hat und zu uns nach draußen kam, um uns mehrfach und eindringlich zu versichern: "You don't want to go to Harlem!" Unser "But yes, we do!" wurde immer zaghafter. Irgendwann gaben wir nach. Die Chance einmal im Leben Spanish-Harlem zu besuchen zog winkend an uns vorbei, während unser letztes Reisegeld in einem völlig überteuerten und hässlichen Hotel im Manhatten liegenblieb. Ich bereue es bis heute.
Und jetzt hat sich so ein furchteinflössender Ticketverkäufer auf meiner Bettkante breitgemacht und hindert mich seit Tagen am Einschlafen. "You don't want to go to America!", sagt er mir eindringlich. Er ist bestens über meine Reise informiert. Er hat eine ganze Liste mit den Dingen, die schiefgehen können: Die Unterkunft in Mexico-City (mindestens so gefährlich wie Harlem!), das nicht funktionierende Handy, die Schlangen, die schon unter der Bettdecke auf uns warten, nicht zu vergessen die Reifenpanne in der Wüste von Arizona. Ob wir bei den komplizierten Mietwagenverträgen eine Pannenhilfe zum Mietwagen dazugebucht haben weiß ich nicht. Definitiv haben wir aber, aus Spargründen, kein Navi im Auto. Das wird sich bestimmt als großer Fehler herausstellen, denke ich. Nachts um drei. Der Ticketverkäufer nickt sorgenvoll. Er weiß um die Gefahren. Er erinnert mich an die Bären im Nationalpark, an überbuchte Unterkünfte, an Donald Trump, an den schlecht gelaunten Teenager auf der Autorückbank und an meine Flugangst. Die ich, wie gesagt, bisher noch gar nicht hatte. Nur der Mann, der friedlich neben mir schlummert. Aber der hat ja auch keine Hitzewallungen! Wie werde ich einen 11-stündigen Flug aushalten, ohne die Möglichkeit ein Fenster aufzureissen, frage ich mich? Wie übersteht man eine Panikattacke über dem Atlantik? " You don't want to go to America!" sagt der dicke Ticketverkäufer meiner schlaflosen Nächte. Und ich stimme ihm zu.
Wenn ich mich dann morgens todmüde im Spiegel anschaue, sage ich mir: "Jetzt stell dich nicht so an! Das wird doch toll! Sei mal dankbar, was du alles erleben wirst! Und was für Geschichten du danach erzählen kannst! (von Panikattacken und Bärenangriffen!). Und überhaupt: denk mal an die Freundin, die den ganzen Sommer mit ihrem Kindern in einem überfüllten Freibad in Backnang verbringen muss!" Ach könnte ich doch mit ihr tauschen... Ihr merkt: Es klappt noch nicht so gut, mit dem dankbaren Freuen. Aber ich will es so gerne. Weil ich auch weiß, was für ein Vorrecht das ist. Reisen zu können. Wohin man will. Alles Vertraute hinter sich lassen und neue Eindrücke gewinnen. Und spannende Begegnungen erleben. "Das wird schön", sage ich mir. "Bestimmt", sagt der dicke Ticketverkäufer sarkastisch, "vor allem wenn euer Gepäck auf dem Weg nach Asien ist, während ihr in euren verknitterten Reiseklamotten und ohne Zahnbürste zur Hochzeit in Mexico eintrefft." Oh, dieser Typ nervt! Ich muss ihn dringend, dringend in sein Kassenhäuschen zurückschieben. Und stattdessen intensiver in Richtung von meinem wunderbaren Reisegefährten hören. Der bisher auf jeder Strecke dabei war und in jedem Sturm mein Herz beruhigen konnte. Fürchte dich nicht!, sagt er einfach. Ich bin da. Und diese Erinnerung ist alles, was ich brauche. Er ist da. Überm Altlantik. In der Wüste. Im Angesicht von wilden Tieren und wenn wir den Weg verlieren. Er ist in Harlem. Er ist in Mexico-City. Er ist in der Hitze der Wüste und er wartet am Rande des Pazifiks. Und flöge ich hinauf zum Himmel: siehe so bist du auch da! (Ps.139). Er wird da sein, so wie er schon immer da war. Auf jeder meiner Reisen. Der einzige Unterschied von damals zu heute ist, dass ich seine Hand fester halten werde, weil mir noch mehr bewusst ist, wie sehr ich ihn brauche. Ach und wie schön wird das sein, wenn er mir seine Welt zeigt...
Jetzt schreibe ich meine Packliste. Als erstes steht da: Mut. Und Vertrauen. Und Neugier. Und auch eine Prise Sorglosigkeit. Die hat sich bestimmt noch in dem alten Reiseführer versteckt. Und wenn heute Abend wieder die Stimme aus dem Dunkel kommt "You don`t want to go to America!" dann sage ich strahlend "But yes, I do!" und zeige auf meinen Reisebegleiter. "Na ja, dann ist das was anderes," wird der Miesepeter grummelnd eingestehen und mir das Ticket aushändigen. "Gute Reise!"
Gute Reise euch allen, wo immer ihr auf dem Weg seid! Gott ist mit uns. Wie gut.
Ich melde mich, falls ich wenn ich wieder zurückkomme! Bis dahin - habt einen guten Sommer! (bzw. ein gutes Leben! Wir wären dann schon mal am Ziel :-)).