Heute morgen bekam ich eine liebe mail von einer Leserin aus der Schweiz. Sie schrieb den wunderbaren Satz: "Das Leben besteht aus vielen Gnadenmomenten!" Wie wahr! Das nehme ich heute als meinen Satz des Tages. Ein Tag der mit Migräne angefangen hat (nach einer sehr unruhigen Nacht) und damit, dass das Kind nach ein paar Minuten Unterricht mal wieder aus der Videokonferenz seiner Klasse rausgeflogen ist. Das vorletzte Mal bekam er deswegen einen ziemlichen Wutanfall. Letztes Mal ist dann zur Abwechslung die Mutter ausgerastet und hätte am liebsten den Laptop gegen die Wand geschmissen (und das Kind saß ganz entspannt daneben!) und heute haben Mutter und Kind nur resigniert mit den Schultern gezuckt. Müde macht sie uns, diese Zeit. So müde.
Als gestern Abend Frau Merkel in der Tagesschau wieder einmal zu Geduld aufrief, dass der Lockdown noch länger andauern wird, bin ich ins Nebenzimmer und habe mit meiner Freundin Chrissie telefoniert, der wunderbaren Grundschullehrerin, die sich heldenhaft durch diese Zeit kämpft (wie auch Samuels Klassenlehrerin und viele andere! DANKE EUCH!!!). Wir haben über die Nebenwirkungen des Lockdowns geredet, darüber wie alte Menschen vereinsamen, wie Kinder - die eh schon benachteiligt sind - vollends abgehängt werden und schwierige häuslichen Situationen allein ertragen müssen, wie Eltern am Rande ihrer Kräfte sind, wie Singles sich durchkämpfen müssen und sich nur mit schlechtem Gewissen in den Arm nehmen lassen, wie Selbstständige um ihre Existens kämpfen und vor Sorgen kaum noch schlafen können.... ach, es ist schon deprimierend das alles aufzuzählen. Aber ich denke es ist wichtig, dass wir uns das ebenso vor Augen halten wie den aktuellen Inzidenzwert! Und glaubt mir: Ich bin weit davon entfernt Corona auf eine harmlose Grippe herunterzureden. Aber es gibt gerade so viel Not - neben Corona!
Und ich möchte so gerne helfen! Aber ich merke: ICH brauche Gottes Hilfe, jeden einzelnen Moment in diesem Tagen! Ich flehe ihn an: Bitte hilf mir, dass ich mein Kind jetzt nicht vor lauter Wut schüttle, weil es einfach nicht so funktioniert wie es SOLLTE, und dass ich mich nicht verachte, weil ICH nicht funktioniere wie ich SOLLTE. Ach, ich brauche so unzählige Gnadenmomente für mich und mein Kind....Und wie dankbar bin ich, dass das jemand in meinem Umfeld sieht! Dass da eine Mama ist, die mir am Abend eine WhatsApp schickt: "Übrigens, morgen nachmittag kann Samuel gerne zu uns kommen." Ich kann es kaum in Worte fassen was das mir (und Samuel!) bedeutet! Es ist meine Rettungsinsel, wenn ich verzweifelt nach Luft schnappe und kein Land mehr sehe. Die Freundin, die mit ihren drei Kindern im wildesten Alter alle Hände voll zu tun hat, denkt an uns und öffnet ihre Tür für noch ein Kind mehr. Vor ein paar Tagen hab ich Samuel bei ihnen abgegeben und die drei Jungs sprangen uns entgegen und umarmten Samuel freudig strahlend mit den Worten: "Bruder!" Das hat mich so tief berührt. Jeder von euch der schon hier eine zeitlang mitliest weiß, dass es Samuels größter Wunsch ist, Brüder zu haben. Nun kann ich den leider nicht mehr erfüllen (Gott steh uns bei!:-)). Aber ich habe unzählige Gebete gesprochen, dass Samuel in seinem Leben gute Freunde an die Seite gestellt bekommt. Und da sind in dieser schwierigen Zeit für mein Einzelkind drei Jungs, die ihn begrüßen wie einen Bruder!
Vielleicht ist das die Schönheit, die wir in dieser Zeit entdecken können: Dass wir einander zu Brüdern und Schwestern werden. Dass wir Herzen und Türen öffnen, für noch einen Menschen mehr in unserem Umfeld. Oder wir lernen durch eine offene Tür zu gehen, die uns aufgehalten wird. Mit leeren Händen und bedürftigem Herzen. Gnade geben. Gnade empfangen. Auch wenn ich gerne bei den Gebenden bin und es mir unglaublich schwerfällt auf der Seite der Bedürftigen zu sein: Ich gehöre in diesen Tagen definitiv zu den Empfangenden. Ich kann nur still "Danke" flüstern, die Tränen aus den Augenwinkeln wischen und meine Schwester und Freundin umarmen.
Danke.
Danke an alle die ihre Tür öffnen, für noch einen Menschen mehr.
Danke an alle die ihr Zuhause zu kleinen Rettungsinseln für andere machen.
Das ist es was wir brauchen - mindestens so dringend wie einen Impfstoff.