Er hat kaum zurückgeschaut. An der Hand seiner Tante, den Koffer hinter sich herziehend, ging er einfach davon. Bereit das erste Wochendende ganz ohne Mama oder Papa zu verbringen.
Heio hat mir zu Weihnachten zwei Tage Wellness in einem Schwarzwaldhotel geschenkt (was für ein tolles Geschenk!) und ich habe mich schon sehr darauf gefreut. Aber es war auch klar: das wird eine Zeit die wir uns als Paar, zu zweit nehmen wollen und Samu wird in der guten Obhut seiner Tante gelassen. Ich wußte: er schafft das - und trotzdem: wie er mit seinem geliebten Rollkoffer abmarschierte, war mein Herz ganz schwer und am liebsten hätte ich ihn in`s Auto gezogen und mitgenommen.
Im Schwarzwald war es dann richtig schön. Zwei Tage mal nicht vor allem Mama und Papa zu sein, Zeit miteinander zu haben- ich bin erstaunt darüber, wir gut uns diese kurze Zeit zu zweit getan hat.
Ich habe versucht nicht zu oft an den kleinen Sohn zu denken. Nach der Rückenmassage lag ich in einem Ruheraum und lauschte einer CD mit Entspannungsübungen nach Jakobsen. Anspannen. Loslassen. Ruhig werden. Entspannung spüren. Tief atmen. Loslassen....
Nachts habe ich dann nicht wirklich gut geschlafen. Wir hatten keinen Handyempfang und der Gedanke, dass wir im Notfall nicht erreichbar waren, machte mich ein wenig unruhig - Jakobsen hin oder her.
Und dann hat es so gut getan den kleinen Sohn wieder in die Arme zu schließen.
Ich hätte nie gedacht, dass Kinder erziehen von Anfang an so viel mit loslassen zu tun hat.
Nicht die überbehütende Mama zu sein, sondern ihm das Leben, so wie es ist, Schritt für Schritt zuzutrauen. Unsere Welt ist wunderschön. Kaputt. Erlösungsbedürftig. Wir alle sind wunderschön. Kaputt und erlösungsbedürftig. Es gibt keinen Weg, wie ich meinem Sohn dieses Chaos ersparen kann. Er trägt es ja selbst in sich.
Ich glaube dieses Loslassen ist etwas, was ich üben muss. Vielleicht ist es so, wie bei den Skispringern:
Vor einigen Jahren stand ich auf einer Großschanze in Oberstdorf und dachte: hier kann doch kein Mensch ernsthaft runterspringen. Wie schafft man das bloss? Aber keiner dieser mutigen Springer beginnt seine Sprünge auf der Großschanze. Als Kinder trainieren sie täglich auf kleinen Schanzen und lernen dabei die richtige Technik. Dann springen sie langsam auf größeren Schanzen und nach langer Zeit und viel intensivem Training können die Skiadler dann mutig über die Großschanze zum Flug ansetzten.
Schanze in Oberstdorf |
Samu eine Nacht bei der Tante übernachten lassen und ihn dann wieder in die Arme schliessen. Seine Streitigkeiten öfters mal alleine austragen lassen und mich nicht gleich einmischen (soange keine spitzen
und scharfen Gegenstände involviert sind:-)). Nicht vor jedem Schmerz bewahren wollen, aber da sein wenn er Trost braucht.
Ein wenig loslassen. Eine kleine Schanze.
Meine Schwester ist schon einige Schritte weiter: letztes Jahr hat sie ihre große Tochter für einen langen USA-Aufenthalt verabschiedet. Größere Schanze.
Unser Staubsauber, ein Geschenk meiner Tante, erinnert mich an ihre Fähigkeit loszulassen. Sie hat sich entschieden ihren gesamten Besitz zu verschenken, bevor sie ihre große Wohnung gegen ein kleines Zimmer im Altenheim eingetauscht hat. Noch größere Schanze.
Und dann kommen die Momente wo wir auf der Großschanze stehen und die großen Sprünge im Loslassen vor uns liegen. Ich konnte meine Mutter dabei beobachten wie sie meinen sterbenden Vater, ihrem geliebten Wegbegleiter, zugeflüstert hast: Du darfst jetzt gehen. Ich lass dich los. Wir schliessen uns im Himmel wieder in die Arme.
Gehen lassen. Gelassenheit. Loslassen zeugt von einer großen inneren Freiheit und von Vertrauen.
.Gehen lassen. Gelassenheit. Loslassen zeugt von einer großen inneren Freiheit und von Vertrauen.
Heute ist meine Herausforderung das Üben auf der kleine Schanze. Kleine Vertrauenssprünge.
Mit offenen Händen leben.
Etwas verschenken, woran mein Herz hängt.
Internet-freie Zeiten.
Auf etwas verzichten was ich gerne hätte.
Jemand mal nicht verbessern, auch wenn ich es vielleicht besser weiß.
Einfluß loslassen und Jüngeren den Vortritt lassen.
Lebensphasen mutig abschliessen (und mit 45 nicht mehr dem Traumkörper nachjagen, sondern dankbar sein, dass alles noch funktioniert).
Nicht von Schuld und Fehlentscheidungen zermürben lassen, sondern Vergebung annehmen und weitergehen.
Sorgen abgeben. Ganz entschieden. Immer wieder.
Sorgen abgeben. Ganz entschieden. Immer wieder.
Mich von Menschen bewusst verabschieden.
Mit offenen Händen lieben.
In dieser wunder-vollen, wunden-vollen Welt sich täglich ein wenig mehr in den Wind lehnen, loslassen und erleben, dass wir getragen werden.
Und der letzte große Sprung trägt uns über die Ziellinie - in eine feste Umarmung und ein sicheres Zuhause.