Donnerstag, 22. Januar 2015

beschissene erste Entwürfe

Das ist jetzt mein dritter Versuch. Seit Tagen versuche ich mir Zeit zu nehmen und etwas sinnvolles zu schreiben. Es ist nicht so einfach. 
Der kleine Sohn ist krank. Die ganzen letzten Wochen hat er sich erfolgreich gegen die Virenflut in der Kita gewehrt, jetzt hat ihn so einen blöden Grippe-Virus flachgelegt. Da gehen sie hin- die schönen Vormittage an denen ich soviel erledigen wollte und mir in Ruhe etwas Zeit zum Schreiben nehmen könnte. Jetzt ist spielen, Rotznase putzen, Nächte durchstehen, malen und Bücher vorlesen angesagt. 

bei diesem Spiel verliere ich immer! Ich verstehe nicht warum?!

kurz mal nach draußen- auf Schienen läuft er am besten

es ist noch still im Park

kalt und wunderschön

die Lokomotive will nicht mehr

Ich versuche abends zu schreiben aber das ist keine gute Idee. Abends bin ich noch begeistert was für gute Gedanken ich habe, wie ein kiffender Jugendlicher, und am nächsten morgen starre ich auf den Bildschirm und denke: was habe ich damit nur gemeint?
Also - nicht veröffentlichen.



Heute morgen ist Samu wieder fit und in der Kita. Ich habe also Zeit zu schreiben, aber ich fühle mich deprimiert. Ich schaue auf andere Blogs ,was mich natürlich noch mehr runterzieht- Mit was für einer Leichtigkeit (so scheint es zumindest!) schreiben andere wunderbare Texte. Wieso ist das bei mir manchmal so schwer?!?

Mein Blick fällt auf ein Buch der Schrifstellerin Anne Lamott über das Schreiben (bird by bird) und ich muß daran denken was sie in dem Kapitel "shitty first drafts" (beschissene Erstentwürfe) schreibt: "Alle Schriftsteller schreiben beschissene erste Entwürfe. Es ist die Voraussetzung für bessere Zweitentwürfe und unglaublich gute dritte Versionen."

Und dann erklärt sie wie wichtig dieser Prozeß ist:  auf den leeren Bildschirm starren, etwas schreiben und wieder löschen, sich durch das Chaos zu arbeiten und:
"6 Seiten Mist zu schreiben und dann in der letzten Zeile etwas zu entdecken, das so gut und wild und wunderschön ist, was du nie entdeckt hättest, wenn du dich nicht durch die sechs Seiten davor gearbeitet hättest.
Das Schreiben muß atmen und sich frei bewegen."

Und sie rät so Anfängern wie mir, etwas barmherziger zu sein. Als wäre ich jemand den ich gerne ermutigen würde und den ich mag. Dann würde ich nicht kopfschüttelnd meine ersten Entwürfe anschauen und sagen: "Was soll das? Das ist doch schrecklich. Was für eine Zeitverschwendung."  Sondern ich würde vielleicht so etwas sagen wie: " Das ist doch schonmal ein guter Anfang. An den holprigen Stellen kannst du später noch arbeiten, aber jetzt mach einfach weiter. Das wird sicher noch richtig gut."

Warum ich jetzt über das Ganze schreibe? Weil ich glaube, dass das was Anne Lamott sagt, nicht nur auf das Schreiben zutrifft, sondern eigentlich auf mein ganzes Leben.

Ich mag keine beschissenen Erstentwürfe. Und gerne würde ich verhindern, dass andere sie mitbekommen. Ich würde gerne gleich alles richtig machen.  Und wenn es nicht  so funktioniert, wie ich mir das vorstelle, dann bin ich schnell dabei es hinzuschmeissen und mich als Versager zu fühlen. 

Ich würde gern die "6 Seiten Mist"  weglassen und nur die letzte klare Zeile übernehmen.

Aber das Leben ist anders.

Ich brauche drei Anläufe (mindestens!), damit der Hefezopf wirklich so gut wird, wie es das tolle Rezept verspricht.
Manchmal braucht es fünf völlig uneffektive Tage, in denen ich gefühlt nur rumhänge und nichts auf die Reihe bekomme, damit ich dann am 6. Tag plötzlich einiges richtig angehen und klar erledigen kann.
Manchmal braucht es ein langes Gespräch und viele suchenden, unbedeutenden Worte um den einen Satz zu finden, der dann wirklich hilfreich ist. 
Manchmal braucht es Streitgespräche und Missverständnisse damit Beziehungen an den Punkt komme, wo wir einander verstehen und stehen lassen können. 
Manchmal braucht es mehrere erfolglose Erziehungsversuche und halbherzig engeschlagene Richtungen bis ich etwas gefunden habe, was zumindest ansatzweise eine Lösung sein könnte.

Das Problem bei mir ist, dass ich mich so oft mit anderen vergleiche. Und meistens vergleiche ich dabei meine Erstversuche mit den glorreichen Drittversuche der Anderen. 
Ich denke dann: warum kann ich nicht einfach auch so entspannt Grenzen setzen, warum fallen mir solche Sätze nicht ein und überhaupt - was bin ich nur für ein Versager. Vergleichen ist wirklich eine total beschissene Sache. Und es funktioniert einfach nicht! Weil wir die Kämpfe der Anderen meistens nicht sehen. Und weil wir alle so wunderbar verschieden sind.

Also will ich lernen barmherziger zu sein, geduldiger, mit mir und mit anderen. Wenn ich unsere Erstversuche anschaue will ich lächeln können und sagen:
"Das ist doch schonmal ein richtig guter Versuch. Bravo. Du bist mittendrin etwas wunderschönes zu entdecken. Mach einfach weiter. Auch wenn es dir heute noch nicht so gelingt. Versuch es morgen nochmal. Es wird es gut werden."

Das Leben soll atmen und sich bewegen. 

Es sind nicht nur die wunderbaren Momente die zählen
Es braucht auch die ereignislosen Tage, die chaotischen Versuche, durchgestrichene Zeilen, Wutanfälle, misslungene Essen, Missverständnisse, Wartezeiten, die Krisen, die Dinge die uns heute überfordern und die offene Fragen. Sie könen uns vielleicht in etwas so gutes, wildes und schönes führen, was wir niemals auf Anhieb gefunden hätten. 



3 Kommentare:

  1. Danke für jeden einzelnen deiner Posts, die es bis zu Veröffentlichung schaffen, sie berühren mich sehr oft! Und ich wünsche dir viel Kraft für dein Leben, was auch immer morgen und die nächsten Tage ansteht!
    Esther (aus einem anderen Vorort von Stuttgart)

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  2. deine texte berühren mich, zeigen immer wieder auch meine situation, drücken aus, was ich fühle und spüre. und bin dankbar dafür, dass ich mit meinem sein nicht allein bin.
    danke, dass du mich teilhaben lässt!
    kestin von der ostsee

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  3. Danke Esther - ganz in der Nähe und Danke Kerstin- in der Ferne (oh, wie gerne wäre ich jetzt am Meer:-)).
    Eure Worte sind sehr kostbar für mich und machen mir Mut wenn ich mal wieder auf den Computer starre und schwierige Erstentwürfe schreiben muss. Liebste Grüße und Segen zu Euch!!!

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