Mittwoch, 5. Oktober 2022

Die Wut, der Handwerker und Gott.

Ich hätte es kommen sehen sollen! Ich habe Französisch in der Schule gehasst. Bei Samuel hat es ungefähr zwei Unterrichtsstunden gedauert bis seine große (und für mich völlig unerklärliche!) Vorfreude auf dieses Fach in starke Abneigung umgeschlagen ist. 
Nun sitzen wir zusammen an den Hausaufgaben. Ich kann nicht sagen wer die größere Verzweiflung mitbringt. Innerhalb kürzester Zeit eskaliert die Situation. Wutanfälle. Schreien. Schütteln. Schämen. Den Rest des Nachmittags ziehe ich mich ins Schweigen zurück. So wie das meine Mutter immer getan hat. So wie ich das NIEMALS tun wollte! Am Ende betreten wir eben doch ganz oft die bekannten Wege. Auch wenn wir wissen, dass sie in Sackgassen führen und der Rückweg umso länger wird. Ich schweige verbissen. Und sorge mich gleichzeitig, dass diese hässlichen kleinen Falten um meinen Mund sich nun noch mehr vertiefen werden. Das Kind spielt inzwischen wieder recht fröhlich im Zimmer. Für meine Begriffe viel zu fröhlich! In mir schwelt noch die Wut und wird langsam kalt. Kalt verabschiede ich den erklärten zukünftigen Profifussballer zum Fussbaltraining (wer braucht da schon Französisch!). Die Freundin, bei der ich mein Herz ausschütten will ist nicht da - ich bin froh für sie! - und ich werfe mich auf Samuels Bett, meine Bibel umklammert. Scham kriecht durch meine Kehle nach oben und ergiesst sich in  einer Misschung aus Tränen, Selbstverachtung und hilflosem Gebet. Und Gott schweigt. Würde ich auch. Erst später denke ich darüber nach, dass sein Schweigen anders sein könnte als meins. Kein beleidigter Rückzug. Vielleicht eher so wie das meine kluge Freundin, die Grundschullehrerin, mir einmal von den Konflikten im Schulalltag erklärt hat: Nach der Wut kommt die Scham. Und erst wenn die sich gelegt hat kann man reden. So lange muss man abwarten. Zeit geben. Sich zurückhalten. Gott hält sich also zurück. Liebevolles Schweigen. Nicht kalt. Ganz anwesend bei seinen Kindern. Gestern, mit verkrampfter Hand um meine Bibel, konnte ich das noch nicht wirklich glauben.
Um das Ganze hier etwas abzukürzen: am Abend werde ich mit der Fertigpizza ein Versöhnungsangebot auf den Tisch stellen. Später werden wir uns auf dem Sofa zusammenkuscheln, weil es uns lange genug kalt war. Wir werden Entschuldigungen und Erklärungen flüstern. Und noch etwas später werde ich mit Heio nach neuen Wegen suchen bevor ich in einen unruhigen Schlaf falle bis mich meine Migräne wecken wird und ich im Dunkel nach den Schmerzmitteln tasten werde. Und dann wird ein neuer Morgen da sein. Mein Spiegelbild wird eine stark angeschlagene 53-jährige Mama zeigen - la miserable! - der es lange genug kalt war und die nun langsam bereit ist, sich von dem Gott umarmen zu lassen, der aus Liebe keine Abkürzungen nimmt.
So in etwa läuft das immer wieder mal bei uns ab. (Und Ja! - mein neues Buch heisst wirklich und tatsächlich: Aus der Ruhe leben. Daran habe ich mich in der gestrigen Schamphase auch ständig erinnert!).  Und mittendrin, in unserer ganzen Unruhe, frage ich  mich verzweifelt wie das alle anderen wohl hinbekommen.  Mit Französisch. Mit der Wut. Mit der liebevollen Erziehung. Mit ihrem Vertrauen auf Gottes Güte. 
 
Gestern morgen - noch lange vor den Hausaufgaben - klingelte der Handwerker. Der Rolladen hinterm Wohnzimmersofa lässt sich schon länger nicht mehr nach oben ziehen. Im Sommer hat es uns nicht gestört. Aber mit der dunkler werdenden Jahreszeit versuchen wir alles Licht reinzulassen was möglich ist. Der geschätzte Fachmann kam also und gemeinsam zogen wir das schwere Sofa nach vorne. "Oh je!", sagte ich nur, beim Blick dahinter. Der Handwerker beruhigte mich. "So sieht es hinter jedem Sofa aus", meinte er lächelnd und machte sich unerschütterlich an die Arbeit. Und sorgt dafür, dass es wieder heller bei uns wird. 
 
Maria hat den auferstandenen Jesus in ihrer Verzweiflung mit einem Gärtner verwechselt. Gestern sah er bei uns ein bisschen so aus wie der Handwerker. Ich erkenne ihn immer erst nach der Wut und nach der Scham. Nach schmerzlichen Nächten. Wenn er im Frühnebel aus dem Schatten tritt, in dem er die ganze Zeit auf mich gewartet hat, und liebevoll meinen Namen sagt. (Und heute klingt das fast so, als hätte er dabei diesen wunderbaren französischen Akzent!)
 
 
 

 

4 Kommentare:

  1. Das mit der unerklärlichen Frankophilie kann ich mit einem Wort erklären: Mbappé!
    Vielleicht ein bißchen zu wenig Substanz...

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    1. Oui, oui- du hast recht: Der französische Nationalspieler ist an allem Schuld ;-)

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  2. Liebe Christina! Ich kann das alles sooo gut nachvollziehen! Bei uns ist es allerdings Englisch und Latein und es eskaliert regelmäßig, leider. Wut und Scham begleiten mich auch so oft. Danke für Deine Offenheit. Zu wissen dass ich mit dieser Herausforderung nicht allein bin hilft mir irgendwie. Ich wünsche Dir und mir viel Geduld und Gelassenheit und Gnade!
    Sei gesegnet!
    A liebes Grüßle aus der Nähe, Dagmar

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    1. Ach ja, danke liebe Dagmar - wie gut zu wissen, dass wir nicht alleine damit kämpfen (egal ob mit Franzöisch oder Latein). Geduld, Gelassenheit und Gnade. Genau das. Danke für diesen Segenswunsch! Ganz herzliche Grüße zu Dir zurück!

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