Am Montag saß ich mit einigen meiner Lieblingsmenschen um den Tisch versammelt. Wir haben gequatscht, gelacht und dann ganz ehrlich erzählt wie es uns geht. Eine der Frauen am Tisch erwartet ihr drittes Kind. Wir freuen uns mit ihr. Fragen nach wie`s geht. Sie erzählt von ihren Ängsten in der Nacht, dass das Kind vielleicht nicht gesund sein wird. Wir alle nicken verstehend. Ein krankes Kind wäre schlimm. Keine Frage. Und dann war da der Satz - nicht mal im Gespräch, sondern in meinem Kopf: Hauptsache gesund. Und plötzlich wird es mir innerlich kalt.
Ich denke an die Kinder die ich über zehn Jahre betreut habe. Keines davon trägt das Prädikat: Hauptsache gesund. Und ja - ich habe durch meine Arbeit eine Ahnung bekommen wie schwer es für die Eltern sein kann. Was für eine Belastung es ist ein krankes Kind zu versorgen. Manche standen weinend, am Ende ihrer Kräfte an unserer Tür und haben uns ihr Kind in die Hand gedrückt. Doch. Gesundheit ist ein hohes Gut. Etwas was ich mir für meinen kleinen Sohn auch so sehr wünsche. Und ich verstehe völlig die Sorgen der schwangeren Freundin.
Aber HAUPTSACHE gesund. Ist es das?
Zumindest hört man diesen Satz ganz offen (und meist unwidersprochen) in unserer Gesellschaft.
Es gibt andere Sätze, die sprechen wir nicht so laut aus. Aber viele leben danach (traurigerweise auch in den "frommen Kreisen" ):
Hauptsache erfolgreich.
Und dann fallen reihenweise Männer (und auch mache Frauen) im "besten Alter" um weil sie sich bis zum Burnout oder Herzinfarkt getrieben haben für dieses fragliche Lebensmotto.
Hauptsache schön und schlank.
Und wir spritzen Nervengift unter die Falten. Lassen uns von Diäten unsere Lebensfreude nehmen und hassen unser Spiegelbild (und das schreibt euch eine Frau die einige Jahre ihr Essen immer mal wieder ausgekotzt hat. Soll die Speiseröhre verätzen - Hauptsache nicht dick werden!).
Hauptsache ein eigenes Haus.
Auch wenn die Kraft dafür kaum reicht, die Ehe dabei drauf gehen kann und man in schlaflosen Nächten gegen die Schuldensorgen kämpft.
Hauptsache verheiratet. Hauptsache Kinder.
Und wenn wir Single oder geschieden oder kinderlos bleiben fühlen wir uns gescheitert (ja, ich weiß, ich kann hier locker schreiben mit Mann und Kind. Aber ich erinnerne mich an 39 Jahre Single-sein und an so viele Blicke was mit mir wohl nicht in Ordnung ist).
Hauptsache geistlich vorankommen.
Und wenn ich in manchen Bereichen immer noch mit den gleichen Dingen kämpfe, auch noch nach den mindestens 30 Jahren in denen ich mit Jesus unterwegs bin?
Hauptsache selbstbestimmt leben. Nicht abhängig von anderen sein.
Und was wenn wir schwach werden? Alt? Sind wir dann wertlos? Können wir uns gleich die Kugel geben?
Gestern nachmittag war ich mit Samu im Behindertenheim um mein liebstes (schwerstbehindertes) Bezugskind zu verabschieden. Heute morgen wird er mit seinen zwei gepackten Reisetaschen in eine Erwachseneneinrichtung auf der schwäbischen Alb umziehen. Ich habe unter Tränen eine Karte für ihn geschrieben - mit einer Liste von all den Menschen die mir einfielen, die er im Laufe der Jahre bei uns kennengelernt hat. Die ihn ins Herz geschlossen haben, ihn im Arm gehalten haben und ihm in Endlosschleifen einen Ball zugeschmissen haben (seine Lieblingsbeschäftigung). Wenn er die Namen hört, strahlt er. Und weil er sie nicht selbst sagen kann, habe ich sie aufgelistet. In der Hoffnung, dass sie ihm in der neuen Einrichtung ab und zu mal vorgelesen werden.
Und ich habe ihm ein Bild gebastelt. Nicht besonders toll, aber es kommt von Herzen. Darauf habe ich den Segen Gottes geschrieben: Der Herr lasse sein Angesicht leuchten über dir. Gott, der Herr, der über ihm strahlt. Er geht mit ihm durch`s Leben. Das glaube ich ganz fest.
Hauptsache gesund?
Aber er wurde und wird geliebt. Von Menschen in der Vergangenheit und ganz bestimmt werden ihn in der neuen Einrichtung wieder einige Menschen in`s Herz schließen. Und von Gott, seinem Vater im Himmel. An jedem Tag seines Lebens wird er geliebt.
Und er und die vielen Kinder die ich über die Jahre begleiten durfte, haben eine einfache Botschaft für uns, für eine Gesellschaft, die Gesundheit, Erfolg, Schönheit zu obersten Prioritäten gemacht hat:
Und er und die vielen Kinder die ich über die Jahre begleiten durfte, haben eine einfache Botschaft für uns, für eine Gesellschaft, die Gesundheit, Erfolg, Schönheit zu obersten Prioritäten gemacht hat:
Hauptsache geliebt.
Vielleicht können wir uns dieser Revolution anschließen.
Wenn wir in`s Spiegelbild schauen.
Wenn wir unsere kleine Mietwohnung betrachten.
Wenn wir wieder mal scheitern.
Wenn wir keinen Job haben der andere beeindruckt.
Wenn wir uns schwach fühlen.
Wenn unsere Wünsche irgendwo hinter der langen Bank verschwunden sind.
Oder wenn mal wieder der Satz fällt: Hauptsache gesund.
Wir könnten den Satz dagegen halten, leise oder laut - aber mit fester Stimme:
Hauptsache geliebt.
Und uns von einem Gott umarmen lassen, der alles dafür gegeben hat um ganz nah bei uns zu sein.
Are you ready for the revolution??? :-)
Christinchen,
AntwortenLöschenmanchmal bist du einfach zu gut und zu ehrlich für die Welt.
:-)..."zu ehrlich" vielleicht deshalb um nicht "zu gut" gesehen zu werden. wie sagt es Paulus: Niemand soll höher von mir denken wie das, was er an mir sieht oder von mir hört (2. Korinth.12,5+6). LG!!! (mail folgt! :-)).
LöschenMich bewegen in letzter Zeit genau diese Gedanken. Was für eine Freiheit, wenn wir Raum machen für diese simple Wahrheit. Und uns nicht mehr von "Hauptsache, dass...." leiten lassen. Danke.
AntwortenLöschenDanke Veronika!Gut zu wissen, dass wir mit unseren Gedanken und dem Wunsch auch so leben zu lernen nicht allein sind. Grüße zu Dir!!!
LöschenSo wertvoll.
AntwortenLöschenWie oft habe ich diesen Satz in meinen Schwangerschaften gehört und mich gefragt was die Leute wohl sagen falls ein Kind nicht gesund auf die Welt kommt. Gesundheit ist eben nicht alles.
AntwortenLöschenDanke für das "Hauptsache geliebt" das ich in Zukunft erwidern werde.
Lg Silke
Ich bin zu Tränen gerührt...
AntwortenLöschenDu hast sehr gut ausgedruckt.
AntwortenLöschenIch möchte hier auch was hinzufügen.
Die Liebe ist alles was wir brauchen.
Hier meine ich, die Liebe zu Bäumen, Menschen, Tieren, Steine.... u. s. w alles was wir berühren und nicht berühren und nicht damit das gleiche von den anderen erwartet zu werden.
So kann man meiner Meinung nach ein freier Mensch sein.