Freitag, 25. Februar 2022

Fackel ins Dunkel

Was soll man auch schreiben? Kann man überhaupt Worte finden? Sollte man nicht lieber schweigen? Das geht mir heute morgen durch den Kopf, angesichts von dem was gerade in Europa passiert. Ein Krieg, nur zwei Flugstunden weg (wie unser Kanzler das gestern Abend eindringlich erwähnt hat). Menschen auf der Flucht Richtung Westen, andere die bleiben und versuchen ihre Heimat zu verteidigen, gegen einen übermächtigen Feind.

Was kann ich tun? Was soll ich auch schreiben? Soll ich nicht lieber schweigen?
Aber vielleicht ist es gerade das was es jetzt braucht: Worte. Die lauten und die leisen. Die bestimmten und die freundlichen. Die zaghaften und die gewissen.  Auch wenn sie sich unbedeutend und schwach anfühlen und es scheinbar andere Waffen braucht
Ich glaube an die Kraft von Worten! An ihre heilende, versöhnende Kraft! Ich glaube dass die richtigen Worte zur richtigen Zeit gesprochen, die härtesten Herzen öffnen können.  Dass sie, wie Kafka das schrieb, die Axt für das gefrorene Meer in uns sein können. Doch. Gerade jetzt. Ich glaube daran, dass wir nicht verstummen sollten!
 
Und: Ich glaube an die Kraft des Gebets! Ich glaube daran, dass es erstmal sinnvoller ist einen Starken zur Hilfe zu rufen, als sich selbst in die Schlacht zu stürzen. Ich glaube, an einen Gott der eingreift, der DA ist und tröstet und hilft und rettet, wann immer wir nach ihm rufen. Und ich  glaube, dass das Gebet Armeen auf den Plan rufen kann, von denen wir keine Ahnung haben.

Und ich glaube an die Kraft der kleinen Taten von Liebe und Barmherzigkeit! Ich glaube dass man immer ein ganz kleines bisschen etwas tun kann. Auch wenn es sich unbedeutend anfühlt. Ermutigen. Trösten. Umarmen. Unterstützen. Mit offenen Händen und wilder Zuversicht gegen die Angst angehen, die uns lähmen möchte.
 
Und ich glaube daran, was am heutigen Tag so passend in der Losung steht und ich will es wie eine leuchtende Fackel ins Dunkel halten:
 
Selig sind, die da hungert und dürstet nach Gerechtigkeit;
denn sie sollen satt werden!
(Jesus in Matthäus 5,6)
 
 

Mittwoch, 16. Februar 2022

Nachts um drei

Heute ist so vieles in meinem Kopf, worüber ich gerne schreiben würde. Zum Beispiel über dieses Gespräch mit einer Freundin, die gerade dabei ist eine weitreichende Entscheidung zu treffen. Tagsüber hat sie den Mut dafür, aber nachts um 3 Uhr wird es schwierig.  In dieser sogenannten Wolfsstunde, in der düstere Gedanken kreisen und der Neugier aufs Leben ein dunklen Umhang aus Furcht umlegen. "Um drei Uhr morgens sind die meisten Probleme unlösbar!", sagt der Psychologe Greg Murray und empfiehlt deshalb, um diese Zeit besser kurz aufzustehen und das Licht anzuschalten, um aus dem Gedankenkarusell abzuspringen. Wie gut, dass wir große Lebensentscheidungen nicht nachts um drei treffen müssen! Wir würden wohl nie so etwas wagen, wie es die Freundin tut, sondern stattdesen ein ungelebtes Leben hinter verschlossener Tür verbringen.
Und dann würde ich gerne etwas über den wunderbaren Freund schreiben, mit dem wir gestern beim Frühstück saßen. Er erzählte von seinen Kämpfen und Krisen - von  Dingen die man nachts um drei fürchtet. Wie er sich an seine Weggefährten aus der Selbshilfegruppe hält und mit ihnen einen Weg durch das Dunkel sucht. Ich finde ja das Konzept der Anonymen Alkoholiker würde sich hervorragend für unsere Gemeinden eignen! Würde es uns nicht gut tun, unsere Veranstaltungen mit dem Bekenntnis zu beginnen, dass wir unser Leben nicht alleine meistern können und dass wir eine Macht brauchen, die größer ist, als wir selbst, um geistige Gesundheit zu erlangen?* Wäre es nicht erleichternd festzustellen, dass wir alle miteinander Genesende sind, auf dem Weg heil zu werden? Und wie schön wäre es wenn wir uns gegenseitig unser Dunkel anvertrauen und anderen eine Zuversicht schenken könnten, die uns oft für das eigene Leben fehlt, und am Ende aller Geschichten noch ganz viel Gnade übrig wäre.
Und da ist noch dieses kleine Erlebnis mit Samuel, von dem ich euch gerne erzählen würde. Wie sein ersehnter Wunsch in Erfüllung ging und ich mit ihm in einer Kneipe saß, mit Pommes und Fanta auf dem wackligen Stehtisch. Und wie ich ihn so nebenbei gefragt habe mit welchem seiner Freunde - oder mit welchem berühmten Bayern-Spieler :-) - er jetzt am liebsten hier sitzen würde. Die Antwort kam prompt und sehr nachdrücklich: "Mit dir, Mama!" Strahlte und vertiefte sich wieder in die Pommesschüssel. Seitdem strahlt dieser kleine Satz in mir. Mit dir! Mit dir bin ich am liebsten hier. Immer wieder kommt er mir in den Sinn. Er ist ein Gebet geworden. Ich bin mir nicht ganz sicher, ob ich es zu Gott sage oder ob Er diesen Satz vielleicht sogar zu mir sagt. Ich weiß nur, dass es sich anfühlt, als würde man nachts um drei das Licht anknipsen. 
Über alles das würde ich heute gerne schreiben. Und dann am Ende einfach sagen - so von einem Genesenden zum andern: Gott ist mit dir am liebsten hier! 
 

 
 
 



 
 
*aus den 12 Schritten der Anonymen Alkoholiker

Donnerstag, 10. Februar 2022

What's your season?

Gestern war ich bei meiner Schwester zum Kaffeetrinken. Sie ist nur knapp zwei Jahre älter als ich und doch schon in einer ganz anderen Lebensphase. Vor kurzem sind ihre beiden Kinder ausgezogen. Mein Schwager hat kurzerhand eine Wand eingerissen und zwei ehemalige Jugendzimmer in einen großen gemütlichen Aufenthaltsraum verwandelt - viel Platz, um ihre neue Zweisamkeit zu genießen! Aber nicht nur an der Raumaufteilung ist erkennbar, dass ein anderes Kapitel in ihrem Leben aufgeschlagen wurde. Meine Schwester hat eine Leitungsaufgabe in einer neugegründeten Gemeinde übernommen und  gerade ihre erste kleine Predigt seit ganz langer Zeit gehalten. "Mir kommt es vor als hätte ich nach vielen Jahren  meine Stimme wiedergefunden!", sagt sie, selbst noch ganz erstaunt. Ich staune auch. Und freue mich mit ihr.  Es ist als hätte Gott ein paar längst vergessene Dinge und verloren geglaubte Projekte für sie aus der Ecke gezogen, den Staub abgeklopft und fröhlich gesagt:  "Wie sieht's aus, sollen wir hier vielleicht mal weitermachen?"

Noch ein paar Tage zurück: Ich sitze mit einer Freundin aus Berlin im Cafe. Sie ist gerade mittendrin in der Kleinkindphase.  Erzählt von ihrer quirligen Dreijährigen und einem nachtaktiven Einjährigen. Ich sehe wie tapfer sie sich durchkämpft ("spätestens nach zwei schlaflosen Nächten fange ich an genervt zu werden!") und das Mama-Strahlen in ihren Augen. Denke zurück wie das bei uns war und bin ganz dankbar für das, was jetzt ist (nie hätte ich gedacht, dass unser Kind mal länger als bis 6 Uhr morgens schläft - aber das Wunder geschah und geschieht weiter!). Wir reden auch ein wenig von unseren Träumen. Von dem was gerade liegenbleibt, was alles nicht möglich ist, weil einfach wenig Raum und Kraft dafür ist. Und nach einem kurzen, innigen Gebet füreinander sprintet die Freundin zurück zu ihrem kleinen Jungen, der gestillt werden will. Atemlos und wundervoll ist sie, diese Lebensphase.

Know your season!, dieser Satz fiel mir in letzter Zeit immer mal wieder ins Herz. Ich glaube es ist so wichtig für ein gutes Leben die Lebensphasen zu erkennen, in denen wir uns befinden. Manche Zeiten sind nicht so klar und offensichtlich wie bei meiner Schwester oder der Freundin. Ich stecke irgendwo zwischendrin. Vieles ist nicht mehr und anderes ist noch nicht.  Gerade habe ich ein längeres Schreibprojekt abgeschlossen und da steigt die leichte Panik auf: Was soll ich denn jetzt TUN? Da ist etwas, was mich innerlich antreibt und mich mehrmals am Tag meine mails checken lässt - nur für den Fall, dass ich die Welt retten müsste... Nach einer vollen Zeit zur Ruhe zu kommen fällt mir wirklich schwer. Heute habe ich diese Worte neu entdeckt, in einer Erklärung zu der Jesusgeschichte, als er seinen Jüngern, nach einem aufregenden Einsatz für den Herrn, ins Boot verfrachtete und sie an einen einsamen Ort brachte:

Das Herz der Jünger Jesu war voll von dem, was sie für ihren Herrn getan und gesagt hatten. Nun sollte es wieder voll werden von dem was er ihnen sein wollte.   
(aus: Hanspeter Wolfsberger & Evelyn Hause: Stille suchen - im Schweigen hören)
Das will ich - that's my season! Zurückkommen zu dieser tiefsten Berufung: Bei Jesus sein. Nur ihn haben. Auf ihn hören. Meine Identität nicht in dem suchen, was ich tue, sondern darin wer ich bin und was Jesus mir sein will. (deshalb laufe ich gerade ziemlich oft mit diesem tollen Lied auf den Ohren über die Felder). 
Und nebenher will ich immer mal wieder leise und neugierig fragen: Was hast du als nächstes mit mir vor? Soll ich weiter meine Stimme erheben? Willst du ein altes Projekt aus der Ecke ziehen bei dem du mit mir weitermachen willst wo wir aufgehört haben? Oder wollen wir vielleicht zusammen die eine oder andere Wand einreißen und Platz für etwas neues schaffen, was mir eventuell den Schlaf rauben und meine Augen zum Strahlen bringen wird? 
Ich habe keine Ahnung was als nächste dran ist. Oder vielleicht doch: Mittagessen kochen. Hausaufgaben betreuen. Arzttermine ausmachen, die ich lange vor mir hergeschoben habe. Spaziergang und Einkauf verbinden. Schönheit betrachten. Ein Geburtstagspäckchen zur Post bringen. Zweisamkeit mit Jesus genießen.  My season.  Frühjahr 2022.  Alles andere wird sich finden.


Mittwoch, 2. Februar 2022

Hard to say I'm sorry

Gestern kam ein bedrücktes Kind nach Hause. Nach einem recht schweigsamen Mittagessen und sehr zähen Versuchen Englisch zu lernen, bricht es aus ihm heraus: "Ich habe keinen Freund mehr!" Nach einigem vorsichtigen Nachfragen kommt die Geschichte ans Licht. Er hat seinen besten Freund verletzt und ihm wehgetan. Stumm sind sie danach nebeneinander im Bus gesessen und ohne ein Abschiedswort auseinandergegangen. Nun leidet der Übeltäter. Zusammen überlegen wir, was er tun könnte, um sich wieder zu versöhnen. Aber egal was ich vorschlage - er traut sich nicht. Unglücklich verzieht er sich an seinen Schreibtisch. Nach  einiger Zeit taucht er wieder auf, ein Papierherz in der Hand. Darin eine Süßigkeit und ein hangeschriebenes: Es tut mir leid! Das wollte ich nicht. In Begleitung seines Vaters, macht er sich mit  schweren Schritten auf den Weg zum Haus des Freundes. Minutenlang stehen sie vor der Haustür bevor er klingelt. Der Freund, der nun vielleicht für immer keiner mehr ist, macht auf. Bekommt das Herz überreicht. Mit einem zaghaften: "Es tut mir leid!" Die Antwort kommt prompt: "Ist schon ok. War doch nicht so schlimm." Die Mutter ruft "Komm doch noch rein!" und die Welt ist wieder in Ordnung.

Abends spielen wir mit dem erleichterten Kind noch eine Runde Karten. Heio ist wie immer nicht nur Mitspieler sondern auch Schiedsrichter und als solcher legt er die Regeln mehr als korrekt aus. Eine Eigenschaft, die mich auf die Palme bringen kann! (oder wie die Psychologen so schön sagen: Es triggert mich!) An diesem Abend eskaliert das Ganze. Ich sage Dinge, die ich besser nicht gesagt hätte, schmeiße die Karten wütend auf den Tisch und verlasse das Zimmer, ein bekümmertes Kind und einen verblüfften Spielleiter zurücklassend (hat er sich aus seiner Sicht doch nur völlig korrekt verhalten!). Es dauert länger bis wir wieder zusammen finden. Auch heute morgen spüre ich, dass unsere kleine Welt noch nicht ganz in Ordnung ist. Und wie schwer mir das "Entschuldige bitte!" fällt. Weil da ein Teil in mir sich gar nicht entschuldigen will! Weil ich immer noch davon überzeugt ist, dass ICH doch Recht habe! Und es irgendwie auch um mehr geht als um dieses blöde Spiel. Und überhaupt: Ich entschuldige mich doch immer! Und Heio enschuldigt sich nie! (Merke: Immer und Nie sind zwei unversöhnliche Freunde, die nie die Wahrheit sagen!) Ich ringe mit mir. Bringe ein halbherziges Enschuldigung hin, das ich bei meinem Kind nur augenrollend akzeptieren würde, und verkrieche mich vor den Computer. Schreiben ist manchmal eine hervorragende Tätigkeit, um sich vor wichtigen Dingen zu drücken (auch gut: bei Google-Earth alle Häuser, in denen man jemals gewohnt hat über Streetview betrachten). Aber ich drücke mich nur so halb. Ich schreibe ja schließlich darüber! Und ich frage mich ob es als Kind leichter war, sich zu entschuldigen? Nicht einfacher. Einfach ist es nie. Aber es gehörte einfach dazu!  Man streitet und dann versöhnt man sich wieder. Immer mal wieder beobachte ich staunend wie ein kindlich zerknirschtes und halb verschlucktes "Tschuldi...!" ein strahlendes "Angenommen!" auslöst und Zwei, die sich eben noch geschworen haben NIE WIEDER miteinander zu spielen, Arm in Arm abziehen, als wäre niemals was gewesen. 

Nun bin ich weit davon entfernt, kindliches Verhalten zu idealisieren - weiß ich doch von mir selbst, wie grausam und gemein Kinder auch sein können. Aber das mit dem versöhnen und vergessen - das können sie wirklich gut. Mensch, was wäre das, wenn wir Erwachsene das wieder lernen könnten?! Wenn ein Staatsoberhaupt sagen wurde: "Tschuldigung, war blöd, was wir da gemacht haben!" Und der andere ihm mit einem erleichterten "Angenommen!" ins Wort fällt. Und dann fängt man wieder zusammen von vorne an. Ja, ich weiß, so einfach ist es nicht.  Das sagt mir mein Schiedsrichter von gestern abend. Über den eigene Schatten springen ist echt schwer! Und seine eigenen Wunden anschauen (lassen) ist auch nicht einfach. Und die Welt ist komplex und die Schuldgeschichten oft sehr verstrickt. Das ist alles wahr. Und doch. Ich glaube es ist das, was es so dringend braucht: Dass da einer Mal sagt: "Entschuldigung, vielleicht habe ich dich einfach falsch verstanden! Erklärst du mir's nochmal?"  Dass da einer die Waffen sinken lässt und den ersten Schritt macht, auch wenn er das Gefühl hat, der andere hat auch ganz schön viel kaputt gemacht. Dass jemand mal einen Kniefall macht wo andere in Verteidigungsstellung gehen. Dass  sich einer mit einem roten Papierherz zaghaft auf den Weg macht. Und dass da jemand die Tür aufmacht anstatt sich zu verbarrikadieren und "Angenommen!" sagt. Dass da einer den Groll und die stillen Vorhaltungen in dieTonne klopft und Seelenschmerz zu Kompost verwandeln lässt. Dass jemand noch eine zweite und dritte Chance verteilt mit einer Großzügigkeit, als hätte er noch eine ganze Kiste davon im Keller. Und dass einer die Regeln und wer jetzt eigentlich dran wäre  mal unter den Tisch fallen lässt - ach, all das braucht unsere Welt so sehr! 

Und jetzt drücke ich mich nicht länger. Manchmal bringt mich das Schreiben nämlich auch dazu, etwas anzugehen. Ich werde einen Kaffee kochen und mich entschuldigen. Und eine Sache kann Heio Gott sei Dank richtig gut: "Angenommen!" sagen. Und dann fangen wir mal wieder von vorne an.