Dienstag, 28. Februar 2023

Rucksack auspacken

Immer wenn ich hier etwas länger nichts geschrieben habe, fällt es mir schwer die Spur wieder aufzunehmen. Dann hilft es mir in meinem Herz zu kramen, wie in einem vollen Rucksack, und eins nach dem Anderen auszupacken. Also, da wären:

Freude über die Wintersonne und den Frühling vor der Tür. Die vielen Schneeglöckchen in unserem Garten. Die Hyazinthe auf dem Fensterbrett (danke Martina!), die ich nun ganz langsam auch wieder riechen kann. Der Geruchssinn kam mir in den letzten Wochen krankheitsbedingt abhanden und kehrt allmählich zurück. Gerade noch rechtzeitig, dass ich die Ankunft des Frühlings riechen kann!

Mein Echtzeit-Projekt. Dieses Jahreswort macht sich in meinen Tagen breit, wie die Schneeglöckchen im Garten und schenkt mir so viele kleine  Geschichten und Gedanken, dass  ich sie fast täglich pflücke und in ein kleines Logbuch presse (Arbeitstitel: Eat this, Zuckerberg!). Nebenher lese ich in dem Buch von Christina Crook the joy of missing out und staune, wie sehr das zu meinen kleinen Erlebnissen passt. Gestern zum Beispiel: Ich schicke Samuel nachmittags zum Bolzplatz, nachdem ich ihm das iPad aus den starren Händen gerissen habe. Keine Ahnung warum dieses Ding (eine Leihgabe der Schule) so faszinierend ist - obwohl er bei uns nicht mal Zugang zum Internet hat!  Kaum ist der Junge aus der Tür spurtet  er auch schon voller Freude los, den Ball am Fuß. Zwei Stunden später kommt er verdreckt nach Hause und klagt: "Ich war fast die ganze Zeit alleine dort, Mama!" Mein erster Impuls ist Mitleid. Mein armes Einzelkind! Aber dann denke ich an das, was ich kurz vorher gelesen habe:

Durch das häufige Online sein und Handy in Reichweite,  fällt es uns  immer schwerer allein zu sein. Aber wenn wir die Fähigkeit des Alleinseins nicht mehr pflegen und  stattdessen in die digitale Welt flüchten, werden wir uns zunehmend einsam fühlen. Und wenn wir unseren Kindern nicht beibringen allein zu sein, dann werden sie nur das Gefühl erleben, einsam zu sein. 
Also sage ich zu meinem Kind (und zu mir selbst): Allein sein ist doch nicht so schlimm! Ins Leere starren. Auf Freunde warten. Wolken am Himmel beobachten. Mit den Gedanken - oder einem Ball - jonglieren. Das alles gehört zum Menschsein dazu. Und es kann uns mit neuer Freude und Kreativität erfüllen. Für die nächste Begegnung.

DIe Fastenzeit. 40 Tage ohne. Ein kleiner Verzicht, ein klein wenig sterben lernen, um Raum für die Auferstehung zu machen. Am Aschermittwoch haben wir uns mit Asche ein Kreuz auf die Stirn gemalt. Etwas ungewohnt für uns, weil katholisch. Und meine katholischen Geschwister können das irgendwie besser. Mit dem Feiern und dem Fasten. Letzteres so, dass es auch ein bisschen weh tut. Die evangelische Kirche bietet immer die light-Version an. Dieses Jahr: 40 Tage ohne Verzagtheit. Gefällt mir aber auch. Und ist für viele von uns vielleicht doch gar nicht so leicht. Trotzdem. Es soll auch ein bisschen weh tun. Kurz kam der Gedanke ob ich mal das Bücherlesen fasten soll. Habe ich sofort wieder verdrängt.  Stattdessen faste ich in diesem Jahr Konsum. Klamotten kaufen. Osterdeko. Spontane Onlinekäufe. Der schöne Schal am Ausgang vom Drogeriemarkt. Neue Bücher.  Autsch.  Ich versuche nur das Nötige zu kaufen. Sprich Lebensmittel. Und Klopapier. Der Rest soll einfach mal 40 Tage Ruhe geben. Inklusive die Verzagtheit.

Bücherfreude. Zum Glück habe ich mich vorsorglich gut eingedeckt mit Büchern. Auf eins habe ich mich schon länger gefreut. Das Buch meiner Freundin Veronika Smoor: What would grandma do. Eine Sammlung von Ideen, Life Hacks, Rezepten, Ritualen, Garten- und Nähtipps, Nachbarschaft und Gemeinschaft leben   -  ach, einfach eine wunderbar bunte Patchwork Decke aus dem Stoff unserer Großmütter, umgarnt mit Veronikas wunderbarer Erzählgabe. Seitenweise Schätze sind in dem Buch zu finden! Eine Menge kleiner und unkomplizierter Anregungen zu einem geerdeten, guten Leben.  Meine Ausgabe hat bereits viele Eselsohren und Fettflecken (schon drei Rezepte erfolgreich ausprobiert!) und ich freue mich über diesen Wegbegleiter, in dem ich immer mal wieder eine Idee aufgreifen oder mich an den guten Gedanken wärmen kann, wie in einer weichen Granny-Decke.
Im letzten Kapitel schreibt Veronika:

Ich wünsche mir, dass ich in dir einen Traum wecken konnte. Der Traum von einem erdgebundenen, einfachen und beglückenden Leben... Nicht mit einer Hau-ruck-Aktion, sondern mit vielen kleinen Schritten. Und wenn du stecken bleibst, dann frage nicht zuerst eine Suchmaschine sondern gehe zum alten Nachbarn, ruf deine Großmutter an und frage: Was würdest du tun?
Das spricht mir so aus dem Herzen! Einen Nachbarn um Hilfe bitten schafft mehr Nähe als alles alleine zu versuchen. Und die Lebensweisheit von einem alten Menschen zu hören ist so viel wertvoller als alles was wir googeln könnten.  
Also an dieser Stelle eine herzliche Buchempfehlung! Ihr könnt das Buch auch direkt in Veronikas Onlineshop bestellen (Und das ist ganz unbeauftragte Werbung:-)).




Während ich hier schreibe quälen mich wieder meine Halsschmerzen, die auch nach drei Wochen Kranksein einfach nicht weggehen wollen. Es ärgert mich, dass mein Körper so störrisch ist und einfach nicht bereit, jetzt endlich mal gesund zu werden.  
Meine Oma würde sagen: "Kind, manches braucht einfach Zeit." Sie würde mir einen Halswickel machen, einen Kräutertee dazu und dann würde sie sich eine ganze Weile zu mir ans Bett setzen. Weil sie zu der aussterbenden Gattung der Großmütter gehörte, die wirklich und wahrhaftig noch Zeit hatte. "Das hast du auch. Zeit." würde sie mir jetzt bestimmt gütig lächelnd antworten. "Aber es gibt doch so viel wichtiges zu tun, Oma!" "Ja, zum Beispiel behutsam mit dir umgehen. Und geduldig sein." Manchmal können Omas auch nerven. Besonders wenn sie recht haben. Also fahre ich jetzt den Computer runter und mache mir einen Kräutertee. Und lege mich aufs Sofa. Auch wenn sich  niemand dazu setzt. Ich werde mir die Zeit nehmen, die mein Körper braucht (viel zu oft in meinem Leben habe ich ihn einfach ignoriert!). Ich werde ein bisschen ins Leere starren. Gedanken jonglieren. Und die Verzagtheit schicke ich in den Garten. Sollen ihr die Schneeglöckchen was läuten.
 

 

Dienstag, 14. Februar 2023

(k)ein Blumengruß

Achtung: Die Lesung am kommenden Donnerstag in Baiersbronn (16.2.) ist wegen Erkrankung auf den 9.3.2023 verschoben!

Ja, mich hat es erwischt. Bei strahlendem Wetter liege ich seit Tagen weniger strahlend im Bett, huste lustlos vor mich hin und versuche mich selbst mal wieder nicht ganz so wichtig zu nehmen. Das Leben läuft auch prima ohne mich weiter. Und Termine lassen sich notfalls auch verschieben. Haben wir doch in der Coronazeit gelernt. Und auch der wöchentliche Blogeintrag ist heute nur ein kurzer Gruß. Eigentlich wollte ich euch an diesem Tag das wunderbare Gebet zum Valentinstag von Pete Greig übersetzen, aber dazu ist mein Kopf noch zu benebelt. Ihr könnt es hier auf englisch lesen
Und wer sich mit dem Englischen schwer tut und auch mit dem Leben an sich -besonders vielleicht an so einem Tag wie heute! - hier einfach noch mein kleines Gebet. Statt Blumen.


Jesus, ich bete für alle diejenigen, die heute ein gebrochenes Herz haben

schenke ihnen deine Liebe, die nicht beschwichtigt, sondern sieht.

Säe Hoffnung in aufgerissene Herzen

die nicht verwelkt, wie Schnittblumen,

sondern sich verwurzelt und vermehrt

und Trost wird

für viele.

Amen.



 

 

 

Mittwoch, 8. Februar 2023

Ungeschminkt

Heute würde ich am liebsten nicht vor die Tür gehen. Nicht weil ich ungeschminkt bin (das bin ich fast immer!) - sondern weil ich mich den Menschen in meinem Gesamtpaket nicht zumuten möchte. An so einem Tag sollte ich auch besser nicht schreiben. Aber weil Blog schreiben auf meinem Tagesplan steht und vor mir mein Jahreswort "Echtzeit" in der Sonne leuchtet, teile ich einfach meine Echtzeit mit euch. Hier ist mein heutiges Gesamtpaket, ganz ungeschminkt:

Die Welt schmerzt. Ich schreibe das an die erste Stelle, nicht weil es in mir an erster Stelle ist - aber weil ich will, dass es hierher gehört. Weil ich es beschissen finde, über meine kleinen Dinge zu jammern, während da draußen die Welt an allen Ecken brennt. Weil gerade, während ich hier friedlich am Computer sitze, Menschen in Bunker fliehen oder mit bloßen Händen nach ihren Kindern graben, die unter Erdbebentrümmern verschüttet liegen. Wie viel Leid kann ein Mensch aushalten? Wie viele Katastrophen kann ein Volk ertragen?

Meine Hände schmerzen. Schon beim Schreiben werde ich kleinlaut. Weil es sich so belanglos anfühlt. Aber es ist so. Gehört heute zum Gesamtpaket. "Arthrose im fortgeschrittenen Stadium" sagte der Arzt. Ich fühle mich alt. Sage schon zu Heio: "Wer weiß wie lange ich noch schreiben kann. Aber eigentlich habe ich ja auch alles Wichtige schon gesagt." Auch dieser Fatalismus gehört heute dazu.

Es irritiert mich gerade sehr, dass mein Körper alt wird. Ich weiß, es ist der Lauf der Dinge. Aber irgendetwas in mir ist total überrascht darüber, wenn ich mich - so ganz ungeschminkt! - im Spiegel betrachte. Die Wechseljahre bringen neben Schlafstörungen und  Hitzewellen (letzteres sehr energiesparend!) auch verwirrende Gefühle. Ich bin mir nicht sicher was diese Lebenszeit mit mir macht. Spüre nur, dass ich etwas zurücklasse. Weiß nicht was ich stattdessen in die Hände gedrückt bekomme. Die Soziologin Brene Brown sagt, dass die Superpower der zweiten Lebenshälfte darin liegt, neugierig zu sein. Ist das so? Offen zu sein. Neues entdecken. Neues denken. Und vielleicht auch: Gespannt bleiben, was da noch kommt. Ob da noch was kommt?

Eine andere irritierende Wahrheit: Wir schaffen dieses Leben nicht alleine. Das klingt schön. Solange es nicht praktisch für mich wird.  Heio hat damit überhaupt keine Probleme. Er fragt ständig um Hilfe, wenn wir Hilfe brauchen (was ja auch irgendwie eine gesunde Sache ist!). Ich halte ihn dabei ängstlich am Ärmel fest und sage:" Lass doch erstmal auf Youtube schauen ob wir das nicht selbst hinbekommen". Oder: "Komm, wir organisieren alles um, dann müssen wir nicht um Hilfe bitten." Irgendetwas daran, dass ich andere Menschen brauche, erfüllt mich mit Scham. Und gleichzeitig weiß ich, dass es der Weg zu mehr echter Nähe ist. Neulich habe ich diesen Ausdruck gehört: Anderen die Gnade schenken, gebraucht zu werden. Ich fürchte, dass ich sehr schlecht darin bin, diese Gnade zu verschenken. Aber es ist vielleicht auch eine Superpower die man in der zweiten Lebenshälfte lernen kann.

Unser Kind braucht mich weniger. Logisch, könnte man sagen. Es ist schließlich das Ziel auf das man als Eltern hinarbeitet.  Trotzdem bin ich auch hier überrascht. Vielleicht weil sich  bei unserem Kind Entwicklungen meist nicht vorsichtig andeuten, sondern sie kommen einfach über Nacht. Gestern hat er noch fröhlich mit seinen Playmobilautos gespielt, ab heute werden sie nicht mehr beachtet. Gestern wollte er noch wissen was WIR nachmittags zusammen machen, heute will er nur noch wissen wann er zu seinen Freunden darf. So sehr ich mich auch über die neue Entwicklung freue  - für das Kind und für mich! - irgendwie muss ich auch erstmal damit klarkommen. Damit, dass mein Kind andere Kinder so sehr braucht und auch damit, dass er mir diese Gnade nun immer weniger schenken wird. Gestern habe ich wehmütig die Fotos aus der Kleinkindphase angeschaut. Genießt es ihr Lieben, es geht so schnell vorbei! (jetzt wisst ihr was ich mit dem Älterwerden meine:-)).

Und während ich hier so sitze und schreiben kann und die Sonne auf mein Gesicht scheint und mich nun doch nach draußen lockt, regt sich auch die Dankbarkeit in mir (Dankbarkeit ist definitiv eine Wunderwaffe der zweiten Lebenshälfte!). Bei allem was heute schmerzt und unsortiert ist und was sich gerade verändert: Ich bin auch dankbar. Für das Jetzt und Hier. Für den weiten Himmel über mir und den gefrorenen Boden unter den Füßen, in dem sich schon das neue Leben regt, für die nächste Jahreszeit.