Dienstag, 18. Mai 2021

Über zerbrochene Herzen - und die Freude, die es hochzuhalten gilt

Eigentlich wollte ich heute einen leichten Blogeintrag schreiben - über Kreativität und die Dinge die uns in diesen Tagen gut tun und unser Herz beleben. Aber dann wache ich mit Kopfschmerzen auf, draußen gießt es in Strömen und ich ärgere mich über einen Menschen (und bin enttäuscht über mich selbst - wie unfassbar lieblos und unbarmherzig ich sein kann!). Während ich in den Kaffee aufsetze höre ich im Radio die besorgniserregende Nachricht, dass die Kinder- und Jugendpsychiatrien in unserem Land so voll sind, dass es bereits eine Triage gibt. Wer nicht suizidgefährdet ist und 'nur' eine Depression hat, wird gar nicht mehr aufgenommen, sagte der Sprecher des Berufsverbandes für Kinder- und Jugendärzte (s. auch den Bericht der Süddeutschen Zeitung heute).
Die Nachricht wirft mich abrupt aus meinem kleinen Jammermodus. Ich denke an die Kinder und Jugendliche die eigentlich unbekümmert ihre Kindheit und Schulzeit genießen sollten, die aber nun im wahrsten Sinne des Wortes lebensmüde geworden sind. Obwohl doch so viel Leben vor ihnen liegt. Mir geht es jetzt um keine Schuldzuweisung in Richtung unserer Politiker. Ich bin mir bewusst, dass sie alle versuchen ihr Bestes zu geben - und in nachhinein weiß man ja immer vieles auch besser. Aber ich bin unendlich traurig für diese Kinder und Jugendliche (und leider trifft es in vielen Fällen diejenigen, die sowieso schon keine einfachen Startbedingungen ins Leben hatten!). Gleichzeitig sehe ich auch, dass so viele von uns müde und abgekämpft sind und ich war sooo erleichtert, dass Samuel gestern endlich wieder in die Schule gehen konnte... Von daher frage ich mich: Was können wir tun? Was kann ICH tun? 
Heute will ich für die Kinder und Jugendlichen beten. Und das ist keine resignierte Aussage. Ich wende mich an den Herzenskenner, an den Liebhaber von uns allen, der versprochen hat, denen nah zu sein, die ein zerbrochenes Herz haben. Halte sie fest, Jesus. Und ich denke an die Eltern, die oft auch mit Schuldgefühlen kämpfen, und hilflos zusehen wie ihre Kinder leiden. Jesus, nimm ihnen ihre Last und schenke ihnen deinen Frieden.  
Heute will ich beten. 
Und mir fällt ein was Henry Nouwen über einen Freund geschrieben hat, der oft in Ländern unterwegs ist, in denen viel Leid und Ungerechtigkeit herrscht:
Wenn er nach Hause kommt erwarte ich immer, dass er mir von der schwierigen Lage der Länder erzählt, von den großen Ungerechtigkeiten und von dem Leid, das er sah. Aber wenn er seine Erfahrungen mitteilt, erzählt er von den verborgenen Freuden, die er entdeckt hat. Er erzählt von einem Mann, einer Frau, oder einem Kind, wie sie ihm Hoffnung und Frieden brachten. Er erzählt von den kleinen Wundern Gottes. ... Er sagt immer nur: "Ich sah etwas ganz Kleines und ganz Schönes, etwas das mir viel Freude geschenkt hat."  Davon muss ich lernen. Ich  muß lernen, überall die wirkliche Freude herauszuholen,, wo sie nur immer zu holen ist, und sie hochzuhalten, dass andere sie sehen. .. Ich weiß nicht wie lange ich warten muß bis alles gut wird, aber ich kann jede Spur vom kommenden Reich Gottes feiern.
(H. Nouwen in: Nimm sein Bild in dein Herz)
Hier entdecke ich noch etwas was ich heute tun kann: Ich will lernen, die verborgenen Freuden entdecken. Und die kleinen Wunder hochhalten. Das mag angesichts der Not naiv klingen, aber ich glaube es ist eine wirklich geistliche Aufgabe für uns: Das Schwere wahrzunehmen, es immer wieder vor Gott bringen, und gleichzeitig das Gute hochzuhalten, das es zu feiern gilt! 
 
Da gibt es zum Beispiel die Arche-Mitarbeiter, die liebevoll gepackte Kisten mit Nahrungsmitteln und Gesellschaftsspielen an die Türe von bedürftigen Familien bringen, die Nachmittags über WhatsApp-Gruppen Nachhilfeunterricht anbieten und abends übers Telefon kleinen Kindern tröstliche Gute-Nacht-Geschichten vorlesen. 
Und da ist diese Lehrerin, die bis in die Abendstunden an  hilfreichen Arbeitsblättern  feilt und die es trotz strengen Auflagen möglich macht, dass sich die Klasse wenigstens einmal die Woche draußen sehen kann, um Geburtstage und Abschiede zu feiern. ...
 
Ich will das Gute feiern.
 
Und will die Freude herausholen, wo sie nur zu holen ist. 
 
Und da bin ich  auch bei der Kreativität, über die ich eigentlich schreiben wollte. Bei der alten Bank meiner Oma, die ich seit Tagen voller Begeisterung schmirgle und streiche. Bei dem schönen kleinen Strauß aus Bärlauchblüten den Samuel auf unserem Abenspaziergang gepflückt hat. Bei seiner Begeisterungs fürs Fußballspielen und den lustigen Blumen die in unserem Garten wachsen. 
Ich will die Dinge hochhalten, die uns heute froh und lebendig machen. Und ich will darauf hoffen, dass sie den Kindern- und Jugendlichen, deren Herzen heute so traurig sind, auch wieder zur Freude werden...





Montag, 10. Mai 2021

Das Leben persönlich nehmen

Zu meiner großen Freude ist letzte Woche die neue Ausgabe der Joyce ins Haus geflattert. Ich blättere ein wenig durch die vielen bunten Artikel, wie durch eine Speisekarte, und freue mich schon darauf jeden Einzeln zu genießen. Eine Geschichte musste ich einfach gleich lesen, weil es mich so gefreut hat, dass mir diese wunderbare Frau zwischen den Seiten entgegenstrahlt: Lissy Schneider.


Ich durfte Lissy vor einiger Zeit kennenlernen und kann nur sagen: Sie ist innen wie außen eine wunderschöne und so richtig kluge und lebendige Frau. Umso krasser fand ich es dann ihre Geschichte zu hören: Weggegeben von ihrer leiblichen Mutter (die aufgrund ihrer Sucht nicht für sie Sorgen konnte), zuerst ins Heim und dann zu ihrer Pflegemutter, für die sie sehr dankbar ist. Dankbarkeit. Das verbinde ich mit Lissy. Ihr damaliger Blog  hat mich dazu inspiriert mein Danke-Tagebuch anzufangen. Jahrelang hat sie ihre Dankesmomente notiert. Sie schreibt dazu: 

Ich habe den Start meines Lebens sehr persönlich genommen und auch alles was in meinen Leben schwierig und herausfordernd war...Durch Dankbarkeit ist eine neue Sichtweise in mein Herz eingezogen: Das Gute  meines Lebens, das  Schöne, was ich schnell als selbstverständlich abstemple, ebenfalls persönlich zu nehmen. Dankbarkeit ist für mich: Das Gute  meines Lebens persönlich zu nehmen.
Was für ein Satz! Das Gute persönlich nehmen. Und, so erklärt Lissy,  dabei geht es nicht darum die schweren Dinge zu ignorieren oder das Gute gegen das Schwere aufzuwiegen.Es hat damit zu tun, dass beides nebeneinanderstehen darf: das Schwere und das Schöne.  

Lissy ist mir auch ein Vorbild darin, mich den Brüchen meines Lebens mutig zu stellen. Zu spüren was mich triggert oder warum ich zum Beispiel ganz oft mit eine tiefen Erschöpfung kämpfe (die Ursachen dafür liegen weit zurück in meiner Kindheit, das habe ich mittlerweile begriffen). Auch hier sind mir Lissys Worte ein Trost, wenn sie über die Tage berichtet, an denen sie so wenig leistungsfähig ist:

Während ich oft dachte: Diese Schwäche muß weg, denke ich mittlerweile, dass Schwäche vor allem mich stört - Gott eher weniger. Er sieht das wunde Herz und klebt nicht einfach einen Flicken darüber.

Mir helfen diese Worte von Lissy so sehr: Ich will das Schwere, die Bruchstücke meines Lebens, immer wieder ehrlich anschauen - es persönlich nehmen - und Gott zum Heilen hinhalten. Und ebenso will ich das Gute meines Lebens ganz persönlich nehmen. Von meinem Schöpfer. Für mich. Heute sind es ein paar zaghafte Sonnenstrahlen die sich durch die Wolken kämpfen. Eine zerknitterte, zweimal zerissene und wieder geklebte Muttertags-Liebeserklärung (Zeichen von viel Streit und Versöhnung am gestrigen Tag:-)). Und ein  zerknittertes Herz, das heute schwach sein darf und ein bisschen angeschlagen - und GENAU SO geliebt ist.


 

Mittwoch, 5. Mai 2021

Die schlichten Dinge, die überall wachsen

Im November habe ich ganz hoffnungsvoll ein paar Pflanzenzwiebeln in die Erde gesteckt.  Kleine Traubenhyazinthen, die - laut Packungsbeilage - in kleinen Gruppen gepflanzt werden wollten (Ihr erinnert euch vielleicht daran - hier habe ich darüber geschrieben). Ich habe sie auch mit der Frage eingepflanzt was in dieser Coronazeit wohl wachsen könnte. In mir.  In  uns allen. Jetzt hat mich Anne danach gefragt was denn aus den kleinen Pflanzenzwiebeln geworden ist. Hier seht ihr das Ergebnis:

 

Sind sie nicht wunderschön geworden? In kleinen Gruppen stehen sie zusammen und es scheint ihnen wirklich gut zu gehen, in meinem Blumenbeet.  Ich hab mich so gefreut als ich die ersten Zeichen entdeckt habe, dass hier tatsächlich mal etwas wächst, was ich eingepflanzt habe! Ich habe die ersten blauen Blüten bejubelt! Allerdings habe ich dann erstaunt festgestellt, dass diese Blumen hier ÜBERALL wachsen. Das ist mir letztes Jahr überhaupt nicht aufgefallen. Auf unserer Wiese im Garten, wie auch in jedem anderen Garten, und auf jedem Hang neben der Straße leuchten mir diese blauen Traubenblüten entgegen! Beim weiteren Studium zu diesen kleinen Pflanzen erfahre ich, dass sie sich liebend gern über Selbstaussaat vermehren und sich mit den Jahren also tatsächlich ganz großflächig und überall ausbreiten. Ich  muß sagen, das hat meine Freude etwas gedämpft. Plötzlich waren meine kleinen tapfer aufgewachsenen Blümchen nichts mehr besonderes. Ein bisschen trübsinnig sagte ich zu Heio: "Ich hätte vielleicht etwas extravaganteres einpflanzen sollen und keine Pflanzen die sich hier sowieso schon überall vermehren."  
Vielleicht habe ich auch deshalb hier noch nichts darüber geschrieben. Weil mir das was bei mir aufgewachsen ist plötzlich so völlig normal und überhaupt nicht besonders vorkam.
 
Ich ahne, dass da vielleicht eine kleine Lektion für mich im Blumenbeet gewachsen ist. Könnte es sein, dass ich Dinge in meinem Leben kleinrede und entwerte, einfach deshalb weil sie nichts "besonderes" darstellen? Weil sich das alles so normal anfühlt und meine kleinen Geschichten hier eigentlich in jedem anderen Garten auch wachsen? Und manchmal verliere ich mich in den extravaganten Schönheiten aus anderen Gärten und were dabei ganz mutlos, im Blick auf mein eigenes schlichtes Blumenbeet...
 
Was könnte in dieser Coronazeit wachsen? -  habe ich mich beim Einpflanzen gefragt. Was wenn es die ganz schlichten Dinge sind? So unscheinbar und weit verbreitet, dass wir sie kaum erwähnenswert finden. Dinge wie: Freundlichkeit. Ein bisschen mehr Dankbarkeit für bisher Selbstverständliches. Aushalten, immer noch einen Tag mehr, und  die Hoffnung immer wieder einsammeln. Spontane kleine Hilfsbereitschaft. Ein wenig barmherziger werden. Öfters mal ganz ehrlich: "ich weiß genau wie es dir geht!" sagen können. Und im bisher fremden Nachbargarten ganz viel Gemeinsamkeiten entdecken.
Ich gebe zu: Ich hätte es gerne ein wenig aufsehenerregender. ICH wäre gerne ein bisschen aufsehenerregender :-). Und dann bin ich doch nur eine von denen, die am besten in kleinen Gruppen aufwachsen und die das hervorbringen, was auch in jedem Nachbargarten zu finden ist. Und Jesus sagt: Es gefällt mir! Deshalb lasse ich so viel davon wachsen. 
 
Und deshab will ich heute eben doch die kleinen Schnapsgläschen aus dem Schrank holen und meine Traubenhyazinthen feiern.  Feiert ihr mit? Sie sind bestimmt auch bei euch am wachsen. Ach, sie wachsen gerade einfach überall!