Freitag, 30. Oktober 2015

Vier Pakistani und ein Weltspartag

Wir waren  bei der Oma im Schwarzwald und haben zwei schöne Herbsttage mit ihr verbracht.






Aber wir sind auch mit einem Auftrag gekommen: Es ist Weltspartag und Samu trägt sein Sparschwein zur Bank. Über einem Tisch von Geschenken für die kleinen Sparer hängt eine Wimpelkette mit Nationalflaggen. Ich frage mich, ob wir uns ernsthaft vorstellen sollen, dass heute in allen Ländern dieser Erde die Kinder ihre Sparschweine schnappen und sich über Gebirgsketten, durch Dschungel und Wüste auf ihren Weg zur ihrer Bank machen?
Die Schwarzwälder sind jedenfalls am Start. 
Vor uns steht ein Junge, kaum älter als Samu, mit einem Schwein das dringend geschlachtet werden muß. Da sind sicher einige hundert Ero drin. Ich staune. Woher hat ein kleines Kind so viel Geld? (bin kurz versucht unsere Sparscheine auszutauschen, aber dann lasse ich es. Wäre kein gutes Vorbild für den Sohn). Der Junge legt sein Geld mit einem so erwachsenen Gesichtsausdruck auf die Theke, dass es mich  nicht wundern würde, wenn er gleich nachfragt, wie es mit seinem Bausparvertrag aussieht.  
Ein bisschen beschämt kippe ich unsere Dose daneben. Hey- es sind immerhin 17 Euro! Ganz schön viel gespart für ein Kind, dessen Mutter keine Ahnung hat was dieses Wort eigentlich bedeutet. Er ist schon unterwegs zum Geschenketisch. Erleichtert stelle ich fest, dass man nicht  erst ab 100 Euro ein kleines Auto aussuchen darf.
Natürlich kann er sich nicht entscheiden. Er hält den Mercedes und einen BMW ewig in seinen Händen. Mein Kommentar: "Jetzt komm, die sind doch eigentlich genau gleich!" wird vom den anwesenden Männern mit Entsetzen aufgenommen. "Das kann man nun wirklich nicht sagen!", wirft einer ein. Vielen Dank. Jetzt dauert es noch länger. Wir blockieren den geordneten Ablauf. Die Leute hinter uns werden langsam  ungeduldig. Eine Frau lächelt mich freundlich an. "Mein Sohn war genauso. Er konnte sich nie entscheiden!", sagt sie.  Ich lächle zurück. Danke.  Kurz darauf verlassen ich die Bank mit einem BMW und einem weinenden Sohn, der um einen zurückgelassenen Mercedes trauert. 
Eine Lektion vom Weltspartag: man man kann eben nicht alles haben.


Draußen hat meine Mutter auf uns gewartet. Sie ist im Gespräch mit vier jungen, dunkelhäutigen Männern. Strahlend verabschieden sich diese von ihr. "Ach, waren des nette Buben!", sagt meine Mutter.  Aus Pakistan kommen sie anscheinend. Nein, nicht zum Weltspartag, sie haben vor ein paar Tagen ihre Flüchtlingsunterkunft hier bezogen. Und meine Mutter, die kein Wort Englisch kann, hat sich angeregt mit ihnen unterhalten. 
"Jetzt müsst ihr aber Deutsch lernen", hat sie ihnen noch freundlich mit auf den Weg gegeben und zu  mir meint sie: "die haben sich so gefreut, dass wir miteinander geredet haben." Ich muß lächeln. So ist sie, meine Mutter.  Und ich freue mich für die jungen Flüchtlinge. Dass sie es geschafft haben- nach schlimmen Erlebnissen, einer schwierigen Flucht, einem weiten Weg -in mein Heimatdorf. Und hier treffen sie auf meine Mutter, die sie voller Wärme willkommen heisst (das geht auch ohne Englischkenntnisse).  
Meine Mutter ist in keinem Verein für Flüchtlingsfreunde, ich glaube dafür ist sie mit ihren 86 Jahren wirklich zu alt. Aber ich weiß, dass sie diesen vier Jungs ab jetzt immer schon von weitem zuwinken wird. Sie wird nach ihren Namen fragen und sie auf einen kleinen Zettel schreiben zum Auswendiglernen und bei der nächsten Begegnung werden sie dann mit Namen begrüßt. Das weiß ich einfach, weil meine Mutter das immer so macht, wenn fremde Leute in`s Dorf kommen.  Und wenn sie an der Kasse hinter ihnen steht, dann wird sie wahrscheinlich zur Verkäuferin sagen: "Des zahl ich!". 
Manchmal nervt es mich, dass sie fast jeden dem sie begegnet freundlich anspricht und dunkelhäutigen Menschen ihren Einkauf bezahlen will:-). Aber andererseits weiß ich: Ein bisschen Freundlichkeit kann so gut tun.  Ganz besonders dann, wenn man sich fremd und weit weg von Zuhause fühlt.

Freundlichkeit hat manchmal ein bisschen einen schlechten Ruf - man denkt an "nett sein müssen", an aufgesetzte und falschen Freundlichkeit. Aber echte Freundlichkeit ist anders. Sie nimmt den Anderen wahr und schaut ihm liebevoll in die Augen. (Ich laufe oft so in Gedanken versunken durch die Gegend - wenn ein Gesicht vor mir auftaucht weiß ich dann manchmal nicht ob ich es wirklich gesehen habe, oder ob es nur in meinen Gedanken war!). Freundlichkeit kann so tröstlich sein. Und manchmal sogar heilend.
 Es ist schön zu sehen, wenn Kinder freundlich mit ihren alten Eltern umgehen und wenn Eltern freundlich zu ihren Kindern sind. Es beeindruckt mich, wenn sich Ehepaare über die Jahre einen freundlichen Umgangston bewahren oder wenn die Verkäuferin sich Zeit nimmt ihren Kunden in die Augen zu schauen.
Freundliche Menschen erinnern mit einfach an Jesus. An einen freundlichen Gott. Der mich anschaut, gütig und liebevoll, der geduldig mit mir redet, der meine Schulden übernimmt, mir Mut macht wenn ich mich alleine und weit weg von Zuhause fühle und mich anlächelt, wann immer er mir entgegenkommt.

Meine Mutter hat mir gezeigt, dass es manchmal einfach nur ein freundliches Lächeln braucht. Einen Fremden grüßen. Ihm liebevoll in die Augen schauen. Und sich daran erinnern, dass wir alle von Gottes Freundlichkeit leben. 

Dienstag, 27. Oktober 2015

zum Glück gezwungen


  
Ich liebe den Herbst, besonders den goldenen Oktober (wenn er so schön ist wie heute), aber auch die nebligen Tage, raschelndes Laub unter den Füßen, wenn es früh dunkel wird und im Ofen in der Küche wieder ein Feuer brennt an dem wir unsere Hände wärmen können.

Es ist die Jahreszeit in der ich es ganz kuschelig und gemütlich machen will. Ich möchte mich am liebsten vor den Unruhen der Welt verkriechen und einen Ort des kleinen Glücks schaffen. Samu kommt mit roten Backen und Taschen voller Kastanien nach Hause, wir essen frischgebackenen Apfelkuchen und genießen den heimeligen Geruch der durch die Wohnung zieht. Dann stelle ich ein paar schöne Fotos auf den Blog, die euch (und mir selbst) zeigen, wie wunderschön das Leben doch ist. 



Schöne Standbilder. Und ja - manchmal ist es tatsächlich so: die stillen Momente des kleinen Glücks, mitten im Alltag (und ich will sie nicht übersehen sondern dankbar aufnehmen). 
Aber es ist nur ein kleiner Ausschnitt. Nicht zu sehen sind zum Beispiel so Dinge wie die dreckige Wäsche, der unaufgeräumte Kleiderschrank oder die Spielzeuge die sich im Regal stapeln und darauf warten dass sie von Heio endlich repariert werden - "Paparieren" nennt es der kleine Sohn:-).


Und die Glücksmomente sind auch meistens nur kurz. Dann gibt es wieder Streit, mich belastet irgendeine Nachricht, die Not von Freunden macht mir zu schaffen, Situationen in denen ich versagt habe bedrücken mich, den kleinen Sohn packt eine unerklärliche Wut, ein "Putzflash" überkommt mich und macht mich ungenießbar, oder ein Migräneanfall haut mich zu Boden, IRGENDETWAS drängt sich unverschämt in unser trautes Heim und trampelt achtlos über den kleinen heilen Ort den ich schaffen wollte. 
jedes Mal wenn ich dieses Haus sehe, träume ich vom kleinen Gück...
Vor ein paar Tagen erreicht mich ein Brief vom Betberg mit Worten der französischen Schriftstellerin Marie Noel die mich total berührt haben. Marie war weit davon entfernt ihr "kleines Glück" auf der Erde zu haben: vergebliches Warten auf die große Liebe, der Tod ihres jüngeren Bruders am heiligen Abend, innere Zerrisenheit und viele Glaubenskrisen. Vielleicht haben deshalb die Worte eine besondere Tiefe? Sie schreibt:

Ich war von bescheidenen Neigungen, dass ich niemals vom Paradies 
und vom vollkommenen Glück geträumt haben würde, 
wenn ich mich nur ganz leise in einem warmen Winkel der Erde hätte einrichten können,
in einem kleinen Haus für mich, 
das der Sommersonne ausgesetzt und im Winter hinter den Scheiben 
voller Licht, Feuer und lieber Gesellschaft gewesen wäre
Wenn dieses sehr kleine Glück gekommen und geblieben wäre,
hätte ich kein Verlangen nach dem Himmel gehabt.
Aber Gott sah für mich größeres als ich selbst.
Er hat mir nicht erlaubt mich auf Erden einzurichten.
Er hat mich gezwungen, Verlangen nach dem Himmel zu haben.
Marie Noel (notes intimes)


Vielleicht kommt diese Unerfülltheit  - wie wir heute unser Leben idealerweise gerne hätten und dem echten Leben das uns geschieht - wie ein ungebetener Gast, der uns still und beharrlich auf ein größeres Glück verweisen kann? 
 Das sind große Worte, ich weiß. Und sie lassen sich nicht mit Blaupause über fremde Leben schreiben. Das kann ich nur für mich selber durchbuchstabieren.

Heute könnte ich üben.

Mich an den guten Momenten freuen.  Aber nicht alles haben wollen. 

 Ein bisschen den Erwartungsdruck rausnehmen an meinen Beziehungen, an meinen Sohn, meine Ehe, an mich selbst. Wir sind nicht vollkommen. Wir stehen alle in der Warteschlange um noch "papariert" zu werden.

Mir eingestehen, dass eine saubere Wohnung, geklärte Beziehungen und abgearbeitete e-mails und to-do Listen nur für einen kurzen Moment auf dieser Erde halten (wenn es überhaupt gelingt!) und nicht zwingend nötig für mein inneres Gleichgewicht sind.

Nicht am Gartenzaun meiner heilen Welt bauen (so wenig wie ich eine Festung Europas möchte!) sondern ein weiches und offenes Herz behalten für die Nöte vor meiner Haustüre.

Nicht den Stimmen zu glauben, die mir sagen dass es vor allem darum geht, mich auf dieser Erde so schön wie möglich einzurichten (und ich dann denke, dass mein Seelefrieden nur durch einen Besuch bei IKEA und einer neuen Sofagarnitur wiederhergestellt werden kann). 

Vom kleinen Glück nicht erwarten, dass es meine Sehnsucht still, sondern dass es vielleicht einfach dazu da ist, meine Sehnsucht zu wecken.
  
Und immer mal wieder mutig meine Sehnsucht und die Unerfülltheit  anschauen. Und mich nicht dagegen wehren, wenn sie mich in ein größeres Glück zwingen. In die Hoffnung. Die Verheissung. Die Vorfreude auf mein wahres Zuhause. Auf den Moment, wenn wir mit einem  erlösenden "ENDLICH!"  in die Arme von Jesus fallen. 
Und alles heil und "papariert" ist.  
Auf ewig.

Mittwoch, 21. Oktober 2015

Verschwende dein Leben.



Wir hatten Besuch von einer Freundin mit ihrem kleinen Sohn. Ich habe mich auf ein gemütliches Kaffeeetrinken gefreut, während die zwei Jungs nebenher friedlich zusammen spielen. HAH. Keine Ahnung welche Laus meinem Sohn über die Leber gelaufen ist- es muß eine sehr große gewesen sein. Um es kurz zu machen: Er war einfach unausstehlich! Er wollte nichts abgeben, war gemein und hat einfach nicht auf mich gehört. 
Die Freundin war verständnivoll (irgendwie ist man ja immer ein bisschen erleichtert, dass es nicht das eigene Kind ist, das gerade Streß macht- so geht es mir zumindest :)), aber nach dem Besuch war ICH unausstehlich. Ich habe Heio den quengelnden Sohn in den Arm gedrückt mit den Worten: "Hier, DEIN KIND. Ich muß an die frische Luft, sonst dreh ich durch." 
Und dann bin ich aufgebracht um die Häuser gelaufen. Klasse, dachte ich, was wenn wir einen kleinen Terroristen erziehen? Wenn alle Liebe und Mühe umsonst ist? Ich meine, ich habe meine Karriere aufgegeben für dieses Kind (ok, es war nicht wirklich eine Karriere- aber theoretisch hätte es eine große Karriere sein können;-)). 
Nachdem ich die Wut weggelaufen habe kommen die Schwermut. Hätte er bloß noch ein Geschwisterkind, dann würde er nicht zu einem verwöhnten Einzelkind. Und bei zwei Kindern würde es sich ja auch die ganze Erziehungssache mehr "lohnen". Ich meine, beim Ersten probiert man ja alles noch aus um dann die ganze Erfahrung dem zweiten Kind zugute kommen zu lassen. Was für eine Verschwendung- der ganze Aufwand für nur EIN Kind. Außerdem sind bei zwei Kindern die Chancen größer, dass zumindest aus einem Kind etwas wird....Oh weh, was für Gedanken! Und dann breitet sich ein warmer Satz leise in meinem Herz aus:

                       "Christina, es gibt keine Liebe ohne Verschwendung."

Nach dem Spaziergang (und der Versöhnung mit Samu) habe ich in meinem tollen Hekunftswörterbuch nachgeschaut- da steht unter Verschwendung: negativ: leichsinnig, nutzlos. Positiv: in reicher Fülle austeilen. Verschenken.
Wenn ich genau hinschaue sehe ich so viel Verschwendung:

Heio, der seine Predigt tagelang vorbereitet, viel Gebet, viel Mühe investiert, alles nochmal überarbeitet und am Ende hören eine handvoll müder Leute zu.

 Eine Mama, die ihr Essen mit viel Liebe kocht, das dann minutenschnell verschlungen wird.
  
Mönche, die ihr Leben damit verbringen ganz bei Gott zu sein und auf ihn zu hören- ohne anschließend ein Buch über ihre Erkenntnisse zu schreiben.

 Eine begabte Frau, die ein Missionswerk mitgeleitet hat und jetzt für ihren kleinen Sohn Zuhause bleibt und ihre Tage damit verbringt Windeln zu wechseln und Kleinkindgebrabbel anzuhören.

 Ein Blog, mit ganz viel Aufwand und Liebe gemacht, der nur ein paar Leser findet.

 Ein kluger Theologe in Harward, der seine Stelle aufgibt um den Rest seines Lebens in einer Lebensgemeinschaft mit geistig behinderten Menschen zu sein.

 Die junge Frau aus unserer Gemeinde, die den Kinderdienst mit so viel Hingabe vorbereitet für eine handvoll kleiner Kinder die ihren Eltern auf die Frage:“was habt ihr denn heute gemacht?“ Mit „Nichts!“ antworten (wenn sie reden können und wie mein Sohn sind).

 Der Freund der seine Arbeit richtig gut macht (ohne Anerkennung dafür zu bekommen) auch wenn ein bisschen weniger vielleicht auch genug wäre.

Eine wunderbare Lehrerin, die ihre ganze Energie und Kraft in eine kleine Schulkasse steckt.

 Die Zeit in der eine Hausfrau morgens auf die Knie gehen und Jesus anbetet-obwohl so viel zu tun wäre. 

Eine Frau die ihr kostbares Parfum, ihre ganze Lebensversicherung, Jesus auf die Füße kippt (und die Jünger irgendwie zu recht schimpfen: das hätte man doch besser den Armen gegeben!).

Man könnte zu all dem sagen:  Das rechnet sich doch nicht. Zeitvergeudung.  Arbeitskraft verschwendet...
Aber die Botschaft die unsere Welt braucht heisst: es geht um mehr als nur um die nützliche Dinge. Um Effektivität. Um die Kosten-Nutzen-Rechnung.  Es geht um Liebe. Um das was "nicht nötig gewesen wäre". Und es gibt keine Liebe ohne Verschwendung. 

ein Rosenherz von Heio am Hochzeitstag - wäre nicht nötig gewesen:-)
Du und ich - wo immer wie uns heute ein wenig verschwenden, wo immer der Einsatz vielleicht größer ist als das (sichtbare) Ergebnis, sagen wir etwas wahres und wunderschönes über unseren Schöpfer, der uns verschwenderisch liebt.

Das will ich mir merken wenn ich gleich EIN Kind abhole und den Nachmittag mit ihm verbringe ... (und meistens bin ich ja total dankbar für diese Zeit - wenn die Wutanfälle sich in Grenzen halten :-)).

Kneten (mal ne Abwechslung zum "Stau spielen")
Kaffetrinken mit dem kleinen Waschbär (DANKE BIRGIT!!!)
reiche Fülle! Wir finden noch Himbeeren im Garten

Dienstag, 13. Oktober 2015

Von Tränen, Tischgesprächen und den Dingen die wir nicht lösen können.

In der Kita gab es einen Personalwechsel. Samus Lieblingserzieherin hat gekündigt und seine allerliebste Bezugserzieherin hat die Gruppe gewechselt. Jetzt weint der kleine Sohn, oft mitten in der Nacht und jeden Morgens ganz herzerweichend. Er klammert sich an mich und ruft: "WILL BEI DIR BLEIBEN!!!" und "WILL KEINE AUSRUHZEIT MACHEN!". Ausruhzeit ist das Böseste und Schlimmste das es in seinem kleinen Universum gibt. Ruhig daliegen und klassische Musik anhören geht gar nicht (gut, das mit der Musik kann ich nachvollziehen). Heute morgen sucht er Leidensgefährten: "Mama, ist Papier auch traurig? Nein? Aber Wölfe sind traurig, oder?" "Klar, Wölfe heulen. So wie du." Er hat seine Seelenverwandten gefunden. 
Ich versuche ihm zu helfen. Frage ob er ein Stofftier mitnehmen will (leider haben wir keinen Wolf). Er will nicht. Ich stecke ihm ein Hustenbonbon in die Tasche, damit er es in der Ausruhzeit lutschen kann. Eigentlich eine gute Idee, denke ich. Aber da fällt mir ein, dass er manchmal auch einschläft und dann an dem Bonbon ersticken könnte. Mist. Jetzt überlege ich ob ich in der Kita anrufen soll, damit sie es ihm wieder wegnehmen. Aber dann hab ich endgültig meinen Ruf als Übermutter weg. 
Ich lasse es. Stattdessen bitte ich Jesus auf den kleinen Sohn aufzupassen. Und ihn während der Ausruhzeit ganz fest in den Arm zu nehmen, dass seine Angst davor nachlässt. Das ist das, was ich für ihn tun kann. Beten.
Es ist so eine kleine Sache. Eine Geschichte eigentlich zu banal um sie hier aufzuschreiben. Aber es sind diese Alltagsmomente die mir zeigen, dass es Dinge gibt, die ich nicht lösen kann. Aber ich kann sie dem Erlöser anvertrauen. (und anschließend versuchen mir nicht mehr vorzustellen, wie Samu an dem Bonbon erstickt!)

Am Wochenende waren wir für einen Tag im Schwarzwald bei meiner Mutter. Es war so schön durch den Wald zu spazieren und gemütlich zusammen Kaffee zu trinken. 



Meine Schwester mit Familie war dabei, auch mein Onkel war da und spontan kam noch unser ehemaliger Spielkamerad und Freund aus der Nachbarschaft dazu. Er lebt zur Zeit in München und war auch gerade zu Besuch bei seiner Familie.
Es dauert nicht lange und wir sind bei DEM Gesprächsthema dieser Wochen: die Flüchtlingssituation in unserem Land. Der Freund erzählt von seinen Nachtschichten an der "Verteilstelle für Flüchtlinge" am Münchner Hauptbahnhof. Mein Onkel, der bei der Feuerwehr ist, berichtet, dass sie auf die Ankunft von drei Bussen mit Flüchtlingen warten, die in den nächsten Tagen auf die kleinen Schwarzwalddörfer verteilt werden. Während wir am Tisch sitzen und reden, setzt sich leise die Sorge dazu. Auch die Angst fordert ihren Platz. Und die Schuld erhebt am Tischende ihr Haupt. Wir haben zu lange auf Kosten anderer unseren Kaffee getrunken. Aber auch die Hoffnung ist da. Mit der Frage was Gott wohl daraus machen wird? Ob unser Land ein Ort der Barmherzigkeit wird, an dem Menschen ihre Wunden heilen können und an dem sie am Ende für uns auch ein Segen sein können? Vielleicht lernen wir wieder zu beten. Für die Aufgaben die uns und unser Land fordern und - ja, auch ÜBERfordern. Für das was wir nicht mal eben schnell lösen können. Wir können uns dem Erlöser anvertrauen. Beten. Und vertrauend leben.
Auch wenn ich gerade nicht viel tun kann (darüber habe ich hier schon berichtet) -das kann ich tun: Ich will für unsere Regierung beten, für alle Helfer und für die Fremden die Zuflucht bei uns suchen. Deren Nächte noch voller Angst sind. Ich will beten, dass Jesus sie in den Arm nimmt. So wie ich es auch für meinen kleinen Sohn bete. 

In meinem Tagebuch habe ich zwei Gedanken aus den letzten Wochen dick unterstrichen:
 "Jesus, angesichts der Not dieser Welt will ich beten lernen. Und dich sehen. Voller Hoffnung. Trotz allem. Vertrauend. Dein Licht leuchtet im Dunkel."

 Und ein Satz von Henri Noeven:
 "But now it`s more important than ever to be faithful to my vocation (=Berufung), to do well the few things I am called to do and to hold on to the joy they bring me."

Also will ich beten (und mein Herz beruhigen, nicht denken dass ich doch DRINGEND IRGENDETWAS tun MUSS). Und treu sein in dem, was Jesus mir gerade anvertraut. Auch wenn es gerade nur etwas ganz kleines ist. Und ich will die Hoffnung und die Freude hochhalten. Auch wenn wir heute nicht die Lösungen haben. Jesus kann alles erlösen.

wir genießen die Sonne im Garten

und wir spielen Stau....

das anstregendste Wort für eine Mutter:-)
 was mich zum Lachen bringt...
und was mich zum Staunen bringt... hold on to the joy ...

Mittwoch, 7. Oktober 2015

Der Blick, für den ich leben will

Heio hat überraschend einen Nebenjob angeboten bekommen: er soll einen befreundeten Pastor der  in Elternzeit geht beim wöchentlichen Obdachlosenfrühstück in seiner Gemeinde vertreten. Das ist ein hammer Segen für uns: es ist einfach Heios Ding und es zeigt mir mal wieder, wie Gott und mit dem versorgt, was wir brauchen. Die letzte Hürde war noch ein Termin bei dem Gemeindevorstand. Hier ging es darum, dass Heio sich vorstellt und ob letztlich die Stelle für ihn genehmigt wird. 
Kurz vor dem Treffen hab ich Heio gefragt: "Und, bist du aufgeregt? Was ist wenn sie dich  nicht wollen?" Seine Antwort war: "Dann bin ich trotzdem noch der Jünger den Jesus liebt."
Whow. Das beeindruckt mich an meinem Mann. Ihm sind die Blicke der anderen einfach nicht so wichtig (deshalb wechselt er auch mal neben der Füßgängerzone die Autoreifen wenn er auf mich wartet bis ich vom Einkaufen wiederkomme oder er geht im löchrigen T-Shirt und abgewetzten Hosen auf den Golfplatz). Dafür sucht er, seit ich ihn kenne, jeden Morgen den Blick von Jesus um sich bewusst zu machen, dass er der Jünger ist, den Jesus liebt.


 Leider bin ich da ganz anders Ich mache mir oft soviele Gedanken darüber, was andere von mir erwarten oder was die Leute über mich denken (z.B. ob meine Nachbarn denken ich bin faul, ob meine ehemaligen Kollegen denken ich bin blöd, weil ich mich kaum noch melde, ob ihr es wohl gut findet was ich schreibe..). Das alles lenkt mich dann so ab, dass ich Jesus völlig aus dem Blick verliere. 

Gestern hatte Samuel Besuch von Messie - nicht dem Fußballer (leider, Heio!) sondern einem Kita-Freund. Er ist ein wenig älter als er, also einer der "coolen Jungs" in der Gruppe und, ganz ehrlich - ich war ein bisschen aufgeregt. Ich dachte: hoffentlich gefällt es Messie bei uns. Nicht dass er in der Kita erzählt, dass es bei Samu Zuhause doof ist und dann will niemand mehr der Freund von meinem Sohn sein. Total albern. Ich weiß (Ich bin wahrscheinlich die uncoolste Mutter EVER). Ich musste dann aber über meine Gedanken doch ein wenig lachen und habe versucht mich zu entspannen (auch nachdem Messie total enttäuscht war, dass keine Pizza im Ofen ist sondern nur gesunde Dinkelbrötchen und dass wir den Fernseher auslassen. Aber ich meine HALLO: soll ich vor einem 5-jährigen Angst haben?). 
Aber mir fiel auf, dass Samu sich anders verhielt als sonst: Er holte alle Spielsachen die wir haben um sie Messie zu zeigen, er machte ständig Unsinn um ihn zum Lachen zu bringen und er ließ ihn sogar beim Spielen gewinnen (was TOTAL ungewöhnlich ist). Heute morgen meinte er dann: "Mama, es war schön, aber er war auch ein bisschen anstrengend!"
Oh mein kleiner, gelieber Sohn - ich weiß genau was du meinst! Es ist anstrengend wenn man dem anderen gefallen will und nicht einfach so sein kann wie man ist. Und am Ende fühlt man sich nicht wirklich geliebt. 




 Letzte Woche habe ich einen tollen Vortrag von Johannes Hartl gehört (vom Gebetshaus Augsburg). Er redete darüber, dass wir  es schon als kleine Kinder wahrnehmen, dass die verschiedensten Blicke auf uns ruhen - Blicke bei denen wir merken: wenn ich dies oder das tue, dann sind sie wohlwollend oder eben nicht. Wir suchen Anerkennung und merken, dass auch die Anerkennung oft wieder an Erwartungen gebunden ist. Und oft genug definieren wir uns über den Blick von anderen.  Und Johannes (der Jünger , den Jesus liebt:-)) sagte uns wie wichtig es ist, dass wir nicht unter dem Blick der Menschen leben, sondern unter dem liebevollen Blick Gottes über uns.
Sein Seminar war für mich so als hätte mich Jesus für "ein ernstes Wort unter Freunden" zur Seite genommen. Als würde er mir sagen:  Christina, ich habe dich nicht frei gemacht, damit du als Knecht der Menschen lebst. Ich will dass du frei unter dem Blick meiner Liebe lebst und die Menschen lieben lernst, wie ich sie liebe
 (wenn ich nämlich damit beschäftigt bin Menschen zu beeindrucken, dann vergesse ich sie einfach zu lieben)

Am Ende der Predigt hat Johannes Hartl eine einfache Gebetsübung gemacht, die mir so geholfen hat, dass ich sie nun jeden Morgen mache:
Ich mache mir bewusst welche Erwartungen mich drängen, welche Blicke auf mir sind und mich antreiben. Ich stelle mir vor als wären es lauter kleine Taschenlampen in einem dunklen Raum. Dann mache - innerlich und äußerlich (hey ich bin ein Freak!:-)) einen Schritt nach vorne. Ich stelle mir vor, dass ich in den Lichtkreis von einem riesigen Scheinwerfer trete: Gottes liebevoller Blick der auf mir ruht. Und ich genieße es, dass ich einfach geliebt bin. Gerecht durch seine Liebe. Und ich mache mir bewusst, dass ich unter diesen Blick heute leben will. Für meinen Jesus.
Und es macht mich tatsächlich ein wenig ruhiger und entspannter und freier. 
Babyschritte. Ich weiß (morgens in unserem Wohnzimmer klappt es schonmal).
Aber ich will es lernen was ich in der Predigt gehört habe:

 "Ich kann es mir nicht leisten, ständig daran zu denken, was andere wohl über mich denken. Dann achte ich nämlich nicht darauf was Jesus denkt."  

Und das ist mir doch am aller, allerwichtigsten (sogar wichtiger als das was Messie über uns denkt! :-)).





Freitag, 2. Oktober 2015

Ernte.Dank.

Heute morgen bleibt mein Blick an der Stuttgarter Zeitung hängen, die Heio auf dem Küchentisch ausgebreitet hat: Ein schönes Bild, mit prallen, roten Äpfeln und einem Bericht über das Erntedankfest. Ich lese über die Haltung der Dankbarkeit folgendes:

Dankbarkeit bewahrt uns vor der Maßlosigkeit alles haben zu müssen und schärft die Dinge für das Wesentliche.   
Sie erinnert uns daran was wir an Gutem haben und was wir wirklich brauchen. 
Die Dankbarkeit ist, laut eines alten württembergischen Pfarrers, wie "Hefe des Glaubens". 
Der Ausdruck gefällt mir. Wie die Hefe unter der wärmenden Sonne den Teig auf das Doppelte anwachsen lässt (so soll es zumindest sein:-)) - so macht die Dankbarkeit groß und sichtbar was Gott tut.

In diesen Tagen fühlt sich mein Herz tatsächlich ein wenig so an, wie so ein überquellender Teig aus der Schüssel - ich bin so dankbar für das (unverdient!) Gute das mich umgibt:
Samu kommt dreckverschmiert aus dem Garten und bringt die letzte Kartoffelernte des Jahres. 
 

Und die Herbstsonne ist gerade so schön - sie schafft es tatsächlich mich abends ab und zu noch dazu zu motivieren eine kleine Runde mit dem Rad über die Felder zu fahren. Hab das Stück Natur in unserer Nähe vor kurzem erst entdeckt- zwischen Müllabladeplatz und Bahngleise. Einfach ziellos ein bisschen hin und her fahren, Blumen pflücken oder ein paar reife Äpfel essen die auf dem Boden liegen. Das ist ein besserer Ausklang des Tages, als den Küchenboden zum zweiten Mal zu wischen. (Morgen ist ja auch noch ein Tag....). Und wir kommen dankbar wieder Zuhause an.




 Und Samu schreit unter jedem Kastanienbaum an dem wir entlagfahren: STOPP! 
Er sammelt ALLE Kastanien ein die er in die Hände bekommt (ich versuche schon die Bäume weiträumig zu umfahren). Überall in der Wohnung stolpere ich über diese runde, samtige Kugeln.   Der kleine Sohn ignoriert mein Schimpfen und baut fleissig seine Straßen...



 Und wir genießen nochmal mit Freunden den wunderschönen Park in unserer Nähe.










Im Zeitungsartikel wird das Erntedankfest als "das sinnlichste Fest der Christen" bezeichnet. Mein Erntedank ist mitten im Alltag:
Wir beißen in knackige Äpfel, genießen die wärmenden Sonnenstrahlen, den Zwiebelkuchen mit  neuem Wein und den Wind der an den Ästen rüttelt. Ich zünde abends wieder öfters eine Kerze an, lege manchmal noch eine schöne "Herbstmusik" ein(z.B. die neue ruhige CD von Sufjan Stevens) . Ich versuche mir ein bisschen mehr Zeit dafür zu nehmen um zu "schmecken und zu sehen wie freundlich der Herr ist".
Und ich spüre  tatsächlich ein bisschen davon, dass mein Blick für das Wesentliche geschärft wird. Hoffentlich erinnere ich mich auch im kalten Novembernebel noch daran...


The physical world invites amazement. 
Lift your eyes from the page or screen and notice. 
Not just observing. Enter in. 
Let the sensations move and change you,
speak something of Gods kingdom present here... 

(Tara Owens, meeting God in flesh and bone).