Dienstag, 27. Juni 2017

Platz für ein Wunder

"Samuel hol mal schnell deinen Papa!", ruft unser Vermieter. Ich denke schon es ist schlimmeres passiert, da sehe ich, dass er einen kleinen verletzten Vogel vorsichtig vom Asphalt pflückt und an Heio übergibt. Es hat sich in der Nachbarschaft schon rumgesprochen, dass Heio derjenige ist, der verletzte Tiere und halbkaputte Pflanzen durchbringt. Apropos Pflanzen: In der gesamten Nachbarschaft wurden dieses Jahr die Buchsbaumhecken von einer gemeinen Raupenart befallen. Und wenn diese Viecher mal anfangen zu essen, hören sie nicht mehr so schnell auf. Kahlfraß wohin man blickt. Die Nachbarn versuchen es mit irgendeinem Pflanzengift. Dann fällt eine Hecke nach der anderen. Nur in unserem Garten nicht! Stundenlang ist der Mann draußen, pflückt die Raupen vom Baum und gießt die dürren Planzen mit Wasser ab. Samu unterstützt ihn tatkräftig dabei. (Heio schätzt, dass sie ungefähr 900 Kriechtiere abgepflückt haben!)



Die Nachbarn legen uns Fachartikel vor die Tür, dass man solche Hecken nicht mehr retten kann. Und sie beobachten weiter kopfschüttelnd was in unserem Garten geschieht. Ich auch. Das wird doch nichts mehr! Was für eine vergebliche Liebesmüh! Ich bin dafür, die Hecke abzusägen. Am besten sofort. Heio schlägt noch sechs Wochen raus. Eigentlich würde er gerne noch viel länger abwarten, aber er kommt nicht gegen mich und die geballte Ladung der Raupen-Experten in der Nachbarschaft an.
Kurz vor der vereinbarten Frist entdecke ich zu meinem allergrößten Erstaunen plötzlich grüne Zweige in der Hecke. Ich reibe mir die Augen. Das gibt`s doch nicht! Der totgesagte Strauch wird wieder grün! Auferstehungsluft in unserem Garten. Die Säge, die ich schon von unserer Nachbarin ausleihen wollte, bleibt unbenutzt. Die Experten sind verstummt.  Und Heio ist der stille Held der geduldigen Gärtner.


Und jetzt also der Vogel! Ich werfe einen kurzen Blick auf das arme kleine Wesen mit den eingeklappten Flügeln, das noch kaum die Augen aufbekommt und sage: "Den kriegen wir nicht durch. Das können wir vergessen." Heio uns Samu hören gar nicht zu. Sie sind schon im Garten unterwegs und kommen kurz darauf mit einem glibbrigen Wurm wieder. Aber der Vogel ignoriert den Leckerbissen. 


Und auch der größte Teil der Wassertropfen, die ihm mit einer kleinen Wasserspritze eingeflößt werden, verfehlen den zaghaft geöffneten Schnabel.  "Das wird nichts!", sage ich und überlege schon ob wir das arme Tier am Ende verbuddeln oder einfach in die Mülltonne werfen sollen. Wir stellen ihn in der Transportbox auf den Balkon und widmen uns wieder anderen Dingen. Nur Samu harrt neben dem Vogel aus. Und plötzlich ruft er triumphierend: "Mama, er ist weggeflogen!" Ungläubig laufe ich dazu. Tatsächlich, die Box ist verlassen und Samu zeigt auf den hohen Baum im Garten. "Da oben sitzt er. Er kann wieder fliegen!" Ich kann es kaum glauben, während Heio weniger überrascht ist. Er rechnet einfach viel mehr damit, dass sich das Leben durchsetzt. 

Und an dieser Stelle bin ich mal wieder froh, dass Gott ganz anders ist als ich! Er pflückt geduldig immer wieder die schrägen Gedanken aus meinem Kopf, sagt mir dass er mich lieb hat und gießt noch ein bisschen Segen hinterher. Und vielleicht hat er ja ab und zu einen etwas nachdenklichen Engel neben sich stehen, der einwendet: "Aber das wird doch nichts mehr, oder? Das lernt sie doch nie! Ist das nicht vergebliche Liebesmüh? Sollen wir nicht lieber den blühenden Bäumen ein bisschen Platz schaffen?" Ok. Ich glaube nicht dass ein Engel ernsthaft etwas einwenden würde. Weil er weiß: Unter Gottes Händen können Tote wieder lebendig werden und die Wüste wieder aufblühen. Gott ist wie der Gärtner in dem Gleichnis das Jesus erzählt, der auch nach drei Jahren in denen der Feigenbaum keine Frucht gebracht hat sagt: "Ach, lassen wir ihm noch ein Jahr!" (Lukas 13,6ff).  Gib ihr noch ein bisschen Zeit. Lassen wir die Wunden langsam heilen. Geben wir noch eine große Gießkanne Liebe dazu. Und dann warten wir. Und dann sprechen wir ihr immer wieder ein paar Wahrheiten ins Herz, solange bis sie es wirklich glauben kann... Oh Mann, Gott ist sooo geduldig!!!
Anne Lamott schreibt, dass Geduld die Gegenwart etwas geräumiger macht. Das finde ich ein schönes Bild!  Geduld schafft ein bisschen mehr Platz, ein bisschen mehr Zeit, wenn andere sagen: "Komm, vergiss es." Geduld wartet noch ein wenig ab und öffnet damit einen Raum in dem noch etwas passieren könnte. Geduld schafft Platz für ein Wunder.

Gesegnet all diejenigen, die sich weigern aufzugeben  - und damit Platz für ein Wunder schaffen.

 Und plötzlich ist da ein grüner Zweig. Ein Flügelschlag. Ein Lächeln. Eine Versöhnung. Eine Heilung. Ein Baby. Ein weiches Herz. Eine Umkehr. Ein neuer Blick. Ein guter Gedanke. Neues Leben.



(Postkarte von rowohlt)


17 Kommentare:

  1. Ich bin ein sehr großer Samu-Fan. Und ich vermisse ihn. Sushi reloaded tut not.

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    1. unbedingt Sushi reloaded! Ich bin dabei (als Aufsichtsperson sozusagen :-))

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  2. Danke für Deine Worte! Ermutigt mich sehr in einer aktuellen Sache, die mich gerade ganz schön beschäftigt... Einen Kuss dafür!!!

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  3. Hallo Christina ��

    Ich lese jetzt schon seit einigen Monaten deinen Blogg und er tut mir echt so oft so gut!
    Heute möchte ich was dazu schreiben: Geduld schafft Raum! So ein genialer Satz! Wie oft erwarten wir, dass alles fertig sein muss oder wenigstens so, wie wir es erwartet haben. Wenn dann alles anders kommt, fehlt uns oft die Geduld und Hoffnung, dass es doch noch werden wird!
    Danke für dein offenes Teilen auch deiner Schwächen und dass du, gerade deshalb bestimmt, immer wieder in Hoffnung und Mut endest! Da fühlt man sich so verstanden und sieht: jeder strauchelt und stolpert ... Das tut so gut,dass man da nicht alleine mit ist! ����
    Geduld schafft Platz für ein Wunder: so wunderschön dieser Satz und soviel Liebe Gottes drin ��... Da kann man Gottes Herz total drin spüren!
    Und das Bild, dass Gott unsere doofen Gedanken einfach geduldig abpflückt und geduldig mit Liebe nachgießt, ist so genial , dass ich total laut lachen müsste ��: Ja, genauso ist Gott!!!��
    Danke dir dafür und dass du immer wieder dein Herz offen machst und mit uns teilst!
    Liebe Grüße, Debby ����

    P.S.: Auch ich habe mich mit dem Baumzünsler beschäftigen müssen �� ... Man kann tatsächlich durch radikalen Rückschnitt und stetigem Absammeln verhindern, dass die Raupen sich verpuppen und die Schmetterlinge neue Eier legen. Man muss nur immer dabei bleiben und v.a. auch wenn der Buchsbaum im nächsten Jahr neu austreibt wieder genau aufpassen, ob nicht neue Raupen da sind ��: von den Nachbarn z.b. können die Schmetterlinge ja zu euch fliegen und wieder fleissig Eier ablegen ��.
    Eine biologische Alternative zum Gift-Cocktail wird hier beschrieben: http://ahornblatt-garten.de/blog/?p=1660

    Viel Erfolg bei der Baum-Rettung ����

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    1. Sorry... Kriege es leider nicht mit den ganzen Smileys hin, die mal im Text waren :-//

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    2. Liebe Debby! Vielen Dank für deine ermutgigende Rückmeldung!!!(und die smileys kamen auch so an:-)). Und danke für den Tipp mit den Raupen und der biologsichen ALternative! Das wird Heio sicher sehr interessieren :-). Segensgrüße zurück zu dir!!!!

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  4. Danke, liebe Christina! Du hast zwei wunderbare Männer! Den Satz "Geduld macht die Gegenwart etwas geräumiger" nehme ich gerne als ein Schatz mit. Herzliche Grüsse aus der grad verregneten Schweiz (bin froh, dass es abkühlt!!). Sonja

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    1. oh JA- zu den wunderbaren Männern und dem Glück, dass es abkühlt (auch bei uns heute!) Freu mich immer wenn du dich hier meldest (und naürlich auch an deinen Texten!) Liebste Grüße zurück in die Schweiz!!

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  5. Ich muß gestehen, es war gegen alle Experten und Mitbewohner unseres Hauses
    schon auch ein „Jetzt werden wir doch mal sehen!“ in mir... Der Buchsbaum sah wirklich hoffnungslos kaputt aus – aber ich nahm meine Hoffnung gegen diesen Anblick aus der Erfahrung des Vorjahres: auch da sah es trostlos aus (wenn auch nicht in dem Ausmaß) – und dann kam das Grün doch wieder.
    Also sammelt ich tagelang immer wieder neue Raupen ab und versuchte die letzten 2-3 (!) grünen Blättchen zu retten.
    Parallel dazu redete ich mit Händen und Füßen auf unsere asiatischen Gartennachbarn ein was den Buchsbaumzündler betrifft. Sie lächelten freundlich zurück – und verstanden kein Wort!

    Dann kamen die ersten frischen Triebe und es fühlte sich nach Triumpf an! Einige Zeit später sah ich zu meinem Erstaunen bei unsern asiatischen Nachbarn auch ein paar grüne Stellen! Obwohl sie an ihrer Hecke nichts gemacht haben: nichts weggeschnitten und kein Raupen abgesammelt – trotzdem könnte sich auch ihre Hecke jetzt wieder erholen!

    Das hat mir deutlich gemacht: Ich kann drumrum schaffen. Ich kann gießen, düngen und gegen Fressfeinde vorgehen – und das ist auch wichtig. Aber das neue Leben steckt nicht in meinen Händen! Gott hat es in den Baum reingelegt. Er lässt wachsen. Bäume und Herzen. Frisches Leben aus einem vertrocknetem und kahlgefressenen Leben.

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    1. Wahrscheinlich haben die Aisaten gedacht du willst ihnen die Raupen als Leckerbissen andrehen und haben sich deshalb lächelnd abgewandt :-). Was bin ich froh, dass ich dich habe! Danke für die Einsicht in ein demütiges Gärtnerherz xxx.

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    2. mir fiel zu dem eine, was Heio so toll geschrieben hat, was ich neulich gelesen habe von Hudson Taylor: wir werden von Gott geführt, auch wenn wir nichts davon merken. Weil es mich so angesprochen hat, möchte ich es an dieser Stelle weitergeben.

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    3. Was für ein wahrer und ermutigender Satz! DANKE dafür!!!

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  6. :-) Herrlich, trotzdem Deine Geduld, Heio! Dieses "Nicht Aufgeben", auf das Leben schauen hat soviel Kraft und weil euer Baum gemerkt hat, dass Du an ihn glaubst, hat der andere gemerkt, dass er -trotz totgeglaubt- auch leben kann!

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