Montag, 22. März 2021

Auf das bunte Leben!!!

Gestern habe ich zwei verschiedenfarbige Socken getragen. Absichtlich. Ich bin sonst eher der Schwarze-Socken-Träger. Das hat sich bewährt, bei einer Wachmaschine die sich von einzelnen Socken ernährt. Aber gestern war bunt angesagt. Es war nämlich Welt Down Syndrom Tag. Und immer wenn mein Blick auf meine Füße fiel, habe ich an die wunderbaren Kinder gedacht, die diese Welt so bunt machen und ein leises "wie schön, dass ihr geboren seid!" in ihre Richtung geschickt. Ja, ich weiß auch was für eine Herausforderung so ein besonderes Kind sein kann. Und ich verneige mich zutiefst vor jeder Mama, vor jedem Papa die sich dem Tag für Tag stellen. Aber ich habe in meinem Leben schon viel von dem Segen und der Freude erlebt, die solcher Kinder mit sich bringen. Das haben mir auch immer wieder ihre Eltern bestätigt. Hat Gott das nicht wunderbar gemacht, dass er die Herausforderungen ganz oft im Doppelpack mit Segen zu uns schickt? Wie ein ungleiches Sockenpaar, das aber sehr gut miteinander harmoniert...
Gestern las ich auf dem Blog von Chrissy, Mama von zwei autistischen Jungs (hier durfte ich  einen Gastbeitrag von ihr posten -sehr lesenswert!). Sie hat in einem Blogpost eine Liste aufgestellt mit Eigenschaften, die uns Wert und Ansehen in dieser Welt geben:
  • dünn
  • reich
  • weiße Hautfarbe
  • schönes Haus (Auto, Frau...)
  • gebildet
  • sportlich
  • schön 
  • jung
  • klug
  • erfolgreich
  • angesehener Job
...
Man nennt Menschen die viele Punkte auf dieser Liste abhaken können auch: Priviligiert. 
Und dann - ihr ahnt es - die andere Liste: 
  • alt
  • chronisch krank 
  • behindert
  • "Ausländer" (oder in america: "Non-white")
  • übergewichtig
  • ungebildet
  • arbeitslos
  • arm
  • nicht attraktiv, nach menschlichen Standards ...

Chrissy schreibt dazu: Umso weniger du auf der oberen Liste abhaken kannst, umso mehr musst du unten ankreuzen und umso weniger Wert hast du in den Augen unserer Gesellschaft. Das klingt nach totalem Mist, aber es ist wahr. Du weißt das, und ich weiß das auch.

Manchmal ist es heilsam, dass wir das so krass vor Augen geführt bekommen. Damit wir aufstehen, unsere buntesten Socken anziehen, die wir haben und sagen: Das ist eine verdammte Lüge, die wir glauben! Wir sind wertvoll! Wir sind alle gleichwertig! Gott hat jeden von uns ins Leben geliebt! Ich möchte es in die Welt hinausrufen und weiß gleichzeitig, dass ich es auch meiner eigenen Seele sagen muß. Wie oft mäckle ich an meinen paar Kilos zuviel rum. Wie schwer fällt mir manchmal der Gedanke ans Älter werden. Wie schnell lasse ich mich von hübschen und berühmten Menschen - mit klugen Gedanken und  schön minimaltistischen Wohnzimmern - beeindrucken.

Deshalb bunte Socken! Und Extra-Tage und Gespräche und Blogposts die uns immer wieder stutzen lassen und laut und deutlich den oberflächlichen Werten dieser Welt widersprechen! Feiern wir das Extravagante, die Extrachromosomen und alles was nicht perfekt ist uns aber vollkommen glücklich macht!

Und widersprechen wir, nicht nur mit unseren Worten, sondern vor allem auch mit unserem Leben. Halten wir dagegen! Stellen wir die gute Listen auf:

  • den Obdachlosen freundlich grüßen  (anstatt peinlich berührt den Blickkontakt zu meiden)
  • Zeit nehmen für ein Gespräch am Gartenzaun mit der alten Nachbarin
  • In der Straßenbahn den Platz neben dem merkwürdigen Menschen wählen 
  • Der Mama und ihrem behinderten Kind ein offenes Lächeln schenken
  • die Stillen, die wir so gern übersehen, an unseren Tisch einladen
  • das"schwierige" Kind auf die Geburtstagsliste setzen
  • unser unperfekten Spiegelbild gnädig anschauen und Fotos veröffentlichen, die uns aussehen lassen wie wir sind und die unser Zuhause aussehen lassen wie es ist....

Alles kleine Dinge. Aber es ist ein Anfang. Und wenn viele mitmachen, kann es ganz schön viel verändern. 

Auf das bunte Leben!!!

 

Mittwoch, 17. März 2021

"Bänkle" am Weg

Diesen Morgen habe ich ganz für mich alleine. Was für ein Luxus! Und ich gönne mir: Zeit!  Ich blättere durch die Tageszeitung und genieße meinen Kaffee. Während ich sinnend auf unseren Garten schaue, bekomme ich eine Nachricht vom Spielkamerad meiner Kindheit. Er schreibt, dass er heute an mich denkt und meine Mutter vermisst, die genau vor drei Jahren gestorben ist. Es berührt mich, dass dieser vielbeschäftigter Mann mitten in seinem vollen Leben in Berlin innehält, um mich daran zu erinnern was heute für ein Tag ist. Ich ziehe meine "Erinnerungskiste" aus der Schublade, setze mich auf den Sofa und nehme kleine Schätze und alte Bilder in die Hand. Ich lese die letzte Geburtstagkarte, die mir meine Mutter noch geschrieben hat. Darauf hat sie den Satz aus einem Lied von Gerhard Teerstegen geschrieben:
Ein Tag der sagt`s dem andern,
mein Leben sei ein wandern,
zur großen Ewigkeit!
Passend daneben liegt ein Familienfoto, bei einer Wanderung aufgenommen. Eingekeilt sitze ich zwischen meiner Schwester und meinem Vater, unter dem fürsorglichen Blick meiner Mutter, auf einer Bank am Wegrand. Glücklich und zufrieden. Mein Vater liebte diese "Bänkle" am Weg, mindestens so sehr wie wir Kinder! Wir rannten immer schon ein Stück voraus, um dann freudig zu rufen: "Papa, ein Bänkle!" Strahlend ließ er sich mit uns darauf nieder, um dann die Schokolade aus der Hosentasche zu holen, die er heimlich eingesteckt hatte, die wir dann alle zusammen "Ripple für Ripple" genüßlich schlotzen konnten, bevor wir gestärkt weiter gingen.
 

Am Montag hat eine Freundin ihr neues Cafe eröffnet. Ganz mutig. Mitten in der Coronazeit. Erstmal wird sie ihre leckeren Kuchen, Waffeln, Salat und Suppe "to go" verkaufen, aber hoffentlich schon ganz bald können die Leute sich an die hübschen Tische setzen und auf den roten Sofas niederlassen. Schönste "Bänkle" am Wegrand!  Ich freue mich, dass ich am ersten Tag dabei sein konnte und mithelfen darf, im Cafe Wundervoll! Mit herrlich frisch gebackenem Kuchen und einem großen Strauß Tulpen (Mamas Lieblingsblumen!) kam ich nachmittags wieder Zuhause an. Ich deckte schnell denTisch bevor Samu Richtung Bolzplatz verschwand und wir machen uns über den leckeren Schokokuchen mit Sahne her, der dem Namen des Cafes alle Ehre machte!

Heute morgen, während ich hier schreibend meine Gedanken wandern lasse, ist es mir als würde Gott am Wegrand sitzen, auf einem schönen Bänkle und einladend auf den freien Platz neben sich zeigen. Und er genießt diese Momente mindestens genauso wie wir: 

Ein gemeinsamer freier Vormittag. 

Dankbar in Erinnerungen stöbern.

Tulpen auf dem Tisch. 

Weiches Sofa und warme Suppe.

Kaffee und Kuchen mit Sahne.  

Papa, ein Bänkle!  

Momente, wie kleine Schokoladeecken, die er aus seiner Hosentasche kramt, die wir friedlich schlotzend zusammen genießen. 

Um dann gestärkt weiterzuwandern.  

 Zur großen Ewigkeit....


 

 





Mittwoch, 10. März 2021

Hände lockern

Diese Woche sind wir wieder ganz im Homeschooling-Modus. Was bedeutet, dass ich mich morgens mit Adjektiven, Zehnerreihen und Steinzeitalter beschäftige und wenig Platz für alles andere bleibt. Es klappt erstaunlich gut. Das Kind ist ziemlich konzentriert beim Lernen. Das kann auch daran liegen, dass ich konzentriert bei dem Kind bin. Dass ich nicht, wie sonst, versuche nebenher an einem Text zu arbeiten, mails zu schreiben oder mit dem Frühlingsputz zu starten. Ich weiß, das ist ein Luxus denn sich andere Eltern, die Deadlines und "richtige" Jobs haben, nicht erlauben können. Ich kann mir eingestehen: Fast nichts von dem was ich jeden Tag tue ist so wichtig, dass es nicht auch noch einen Tag liegen bleiben könnte. Also übe ich mich im Loslassen. 
 
Loslassen - das ist auch mein kleines "Fastenprojekt" in diesem Jahr. Beim Ausräumen von meinem Elternhaus wurde mir nämlich bewusst wie schwer mir das werden wird, wenn wir die Schlüssel endgültig abgegen werden. Zu dem Haus in dem ich meine Kindheit und Jugend verbracht habe. An dem Ort wo ich jede Straße spielend erkundet habe und jeden Waldweg entlanggehüpft bin. Als ich bei Heio über diesen bevorstehenden Abschiedschmerz geklagt habe meinte er nur entspannt: "Da kannst du loslassen lernen. Und den Fokus mehr nach vorne richten, auf die ewige Heimat." Ach, der Mann. Aus seinem Mund klingen die Dinge oft so einfach, die für mich überhaupt nicht einfach sind. Und deshalb will ich üben. Loslassen für Anfänger. 40 Tage. Jeden Morgen die neugierige Frage Richtung ewige Heimat: "Was könnte ich heute loslassen?" Und es gibt ja SO VIEL Gelegenheiten zum Üben. Manches fällt mir sofort ein, und einiges flüstert mir während des Tages loslassen zu:  Eine Erwartung. Ein Sorge. Eine Vorstellung. Eine Aufgabe, die man gerne erledigt hätte aber eigentlich jetzt nicht sein muß. Eine Enttäuschung. Eine Sache die ich sehe und plötzlich ganz unbedingt haben will ...  Es ist als würde Gott ganz sanft, wie bei einem Kind, meine verkrampften Hände Finger für Finger lösen, damit ich freier und mit offenen Händen leben kann.

Henry Nouwen schreibt über dieses Loslassen, dass es eine lange geistliche Reise des Vertrauens ist. Wir müssen Geduld haben, viel Geduld, bis unsere Hände vollständig geöffnet sind. 40 Tage sind also nur eine kleine einführende Kurseinheit in der Lektion Hände lockern, die wohl ein Leben lang dauern wird. Also setzte ich mich neben mein Kind und wir lernen gemeinsam. Heute steht auf meinem Übungsblatt ein einfaches Gebet, von Henry Nouwen:

Guter Gott, 
was werde ich sein,
wenn ich nichts mehr habe,
woran ich mich festhalten kann?
Wer werde ich denn sein,
wenn ich mit leeren Händen vor dir stehe?
HIlf mir bitte, meine Hände mehr und mehr zu öffnen
und zu entdecken, dass ich nicht bin, was ich habe,
sondern was du mir geben willst.
Und was du mir geben willst, ist Liebe,
bedingungslose, nie endenden Liebe.  

Amen.

 



Dienstag, 2. März 2021

Es wird sich ordnen.

MIt dicken Winterjacken und Schals kamen wir nach den Faschingsferien von unserem "Schwarzwald-Wohnung-Ausräum-Urlaub" zurück, da zog uns schon der Frühling in seine Umarmung. Ich atme genußvoll seinen erdig warmen Geruch, lass mich von ihm in den Garten ziehen, den ich in den letzten Monaten nur frierend, auf dem Weg zum Kompost, durchquert habe, und staune über die üppig verteilten Schneeglöckchen und Narzissen. Heio baut voller Freude sein neues kleines Gewächshaus auf, bestellt Anzuchterde, bereitet Blumentöpfe und Samenpäckchen vor, um bei nächster Gelegenheit Balkon und Badewanne mit kleinen Pflänzchen vollzustellen. Das Kind zieht es auf den Bolzplatz am Ortsrand und kommt erst bei Einbruch der Dunkelheit völlig verdreckt und glücklich zurück. Und gestern morgen ging es dann sogar wieder mal in die Schule! "Ich freu mich so!", riefen Kind und Mutter. Was für ein Lichtblick!!!

 





Natürlich ist bei uns nun nicht alles heiter Sonnenschein (großes Gelächter meiner Mitbewohner an dieser Stelle!). Aber der Frühling macht mir Mut die Schwere und die Sorge der letzten Wochen und Monate einfach mal ein bisschen auszuschütteln, wie Samuels Fußballschuhe, die er mir abends voller Sand und mit dreckverklumpten Sohlen entgegenstreckt, und das Gesicht in die Sonne zu halten. Tief einatmen. Auf das Zwitschern der Vögel hören und mein Herz mit frischer Zuversicht füllen lassen. Dazu las ich diese Worte von Tomas Sjödin:

Zuversicht heißt auf Schwedisch fortröstan und enthält das Wort tröst, Trost. Es spricht davon, dass man an den Trost zu glauben wagt, ehe man ihn erfährt, darauf vertraut, dass es gut wird. Und wenn es nicht gut wird, dann werden sich die Dinge dennoch auf wundersame Weise ordnen.

Ach, klingt das nicht wunderbar?! Auch wenn es nicht alles gut wird (zumindest jetzt und hier nicht): Es wird sich ordnen. Ich mag diesen Satz.  Im muß dabei an meine Mutter denken, die abends noch durch die Wohnung ging, hier und da kleine Handgriffe getätigt hat, den Frühstückstisch vorbereitet, die Wäsche gefaltet, Kleidung für den nächsten Tag zurechtgelegt und ihr Abendgebet gesprochen hat. Schläfrig und zufrieden habe ich Abend für Abend diese Geräusche vernommen, kurz bevor ich eingeschlafen bin. Was für ein Trost war in dieser ordnenden Hand am Ende des Tages! Ein ähnlicher Trost finde ich in Schneeglöckchen, Weidenkätzchen und den Knospen an den Bäumen. Zeichen einer liebevoll ordnenden Hand, die den neuen Tag vorbereitet...

Der Frühling macht mir Mut an den Trost zu glauben noch ehe alles gut ist. Und daran, dass sich die Dinge auf wundersame Weise ordnen werden...  Wie sagte es meine Freundin Tine neulich in einem Gottesdienst, zu Beginn der Fastenzeit: "Ab jetzt können wir wieder die Tage bis Ostern zählen!"