Mittwoch, 18. Oktober 2023

Tragfähigkeit

Heute morgen stolpere ich müde Richtung Bad und höre dabei mit halbem Ohr die Nachrichten, die Heio in der Küche auf unserem kleinen Radio eingeschaltet hat. Raketeneinschlag in Gaza. Hamas feuert weiter auf Israel. Die GSG 9 auf dem Weg, um Geiseln zu befreien. Ich hole mir eine Tasse Kaffee und schließe kurz darauf noch einmal die Tür zu meinem Schlafzimmer. Dort schalte ich die kleine Lampe an, die gerade genug Licht gibt, dass ich die Buchstaben in meiner großen Bibel entziffern kann. Früher dacht ich ja, dass die größerwerdenden Bibeln etwas über die zunehmende Glaubensreife eines Menschen zeigen. Heute weiß ich: die Größe sagt etwas über das nachlassende Augenlicht eines Menschen. Aber ich schweife ab.  Auch wenn ich absolut kein Morgenmensch bin - und mit dem Kind die Minuten zähle, die wir noch im Bett liegen können bevor wir jetzt aber wirklich rausmüssen! - ich brauche diese Zeit am Morgen so sehr.  Das hat nichts von streng religiöser Übung für mich. Es ist eher so wie Tomas Sjödin das beschreibt: Ein "Sich-Einfinden". Der Ausdruck gefällt mir so gut. Und Sjödin schreibt weiter:

Wichtig ist nicht so sehr, was ich tue, sondern eher, dass ich mich einen Moment im Kraftfeld der Nähe Gottes aufhalten darf.
Genau so empfinde ich das. Ein Auftanken im Kraftfeld der Nähe Gottes bevor ich mich dem Tag stellen kann. Ich glaube er strahlt jedes Mal wenn ich komme und sagt: "Da bist du ja!" Und ich strahle zurück und sage: "Ja, da bin ich." Und vielleicht ist das schon das Wichtigste was in dieser Zeit geschieht. Dieses "Sich-Einfinden" bei ihm. Mich seiner Anwesenheit und Liebe versichern. Und dann alles bei ihm abzulegen, was mir gerade das Herz so schwer macht. Weil ich nämlich den starken Hang dazu habe, meine Tragfähigkeit zu überschätzen! 
Das erinnert mich an diese kleinen Schilder, nach denen ich immer sofort Ausschau halte wenn ich einen Aufzug betrete. Dort ist die Tragfähigkeit in - wie ich fürchte stark aufgerundeten! -  Kilozahlen vermerkt.  Ich mag keine Aufzüge. Vielleicht weil ich ein paar Mal zu viel darin steckengeblieben bin. Wenn ich mit mehreren Personen gleichzeitig so ein schwebendes Gefängnis betrete, versuche kurz zu überschlagen, ob das passt und wir noch ein bisschen Spielraum haben, falls sich im letzten Moment noch die eine oder andere Person dazuquetscht (was ja meistens passiert). Und mein Atem wird jedes Mal schneller, umso näher wir an die abgebildete Kilozahl kommen. 

Ich habe den Eindruck, dass wir in diesen Tagen auf unsere Tragfähigkeit achten müssen. Die ist ja sehr unterschiedlich bei uns (je nach Bauart:-)) und kann in verschiedenen Lebenssituationen auch sehr variieren. Aber wir haben alle eine Obergrenze, die wir möglichst nicht oft überschreiten sollten! Das gilt für die Menge der Informationen die wir aufnehmen. Für die Anzahl der Menschen, für die wir regelmässig beten. Für die Nöte in unserem direkten Umfeld, die wir innerlich ein wenig mittragen. Und immer wenn der Atem schneller wird, sollten wir unbedingt dafür Sorge tragen, dass sich nicht noch mehr in unser Innerstes quetscht. 
Anfang der Woche habe ich diese Zeile in einem Gebet von Janet Morley gelesen:
  Bewahre uns davor, mehr wissen zu wollen als wir ertragen können. 
Das bedeutet nicht, dass ich mich schweren Nachrichten verweigern will. Ich will mir einfach nur bewusst machen, dass meine Tragfähigkeit begrenzt ist. Dass ich Mensch bin. 
Dass es Dinge gibt, die nur Gott allein schauen und tragen kann. Dass es ein Dunkel auf dieser Welt gibt, das nur Christus betreten kann. Und dass es Kämpfe gibt, die nicht menschlich und militärisch gewonnen werden können, sondern nur dann, wenn Gott selbst in den Ring steigt.
Diese Erinnerung brauche ich BEVOR ich die ersten Nachrichten des Tages höre, BEVOR ich zu meinem Handy greife und BEVOR ich meine mails abrufe. Ich will "Mich-Einfinden" bei dem Gott, der die Tragfähigkeit für die ganze Not dieser Welt hat und in dessen Herz ausreichend Platz ist,  um jedem von uns die Tür aufzuhalten und uns strahlend in seiner Nähe zu begrüßen.
 
"Da bist du ja!" 

 




5 Kommentare:

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    1. Oh ja, vielen Dank...so schön von den guten Gedanken und Anregungen angezogen zu werden, und das Herz sich öffnen lassen.

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  2. Ja, die Tragfähigeit eines jeden Menschen variiert sehr. Ich selbst muss da auch aufpassen, was ich aufnehme und ob ich weiter Nachrichten verfolge (ich tue es aus Selbstschutz nicht!). Aber wie Christina schreibt, gibt es Situationen wo nur Christus noch etwas bewirken kann. Es sollte uns getrost machen, dass über allem der lebendige Gott steht. Mir fällt da das alte Kinderlied: "Weißt Du wieviel Sternlein stehen ein..." Vielleicht hilft manchmal nur noch so etwas...

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  3. Wie wohltuend und wertvoll, diese Erinnerung daran, weise mit unserer Zeit umzugehen und klare Prioritäten zu setzen. In letzter Zeit bin ich wieder viel zu oft ohne diese stärkende Grundlage in den Tag gestolpert und habe mich von dem gefangen nehmen lassen, was dann auf mich einflutet. Danke Christina!

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