Jetzt bin ich also mitten in meinem Experiment "Echtzeit". Und, wie Anne das in den Kommentaren so gut angemerkt hat: Bei dem Wort geht es eigentlich vor allem darum im JETZT zu sein. Ich habe mich entschieden ein kleines Logbuch darüber zu schreiben, wie mir das gelingt. Und wie immer merke ich, dass mir das Aufschreiben hilft, Dinge besser wahrzunehmen. Die Seiten füllen sich mit kleinen Alltagsentdeckungen. Zum Beispiel diese, vom vergangenen Freitag:
Rückfahrt nach der Lesung am Nachmittag. Ich mache Zwischenstopp beim schwedischen Kaufhaus (liegt praktisch auf dem Weg!). Muss für Heio etwas zurückgeben und OK: Ich möchte auch ein kleines Schränkchen für unseren Flur. Das Schränkchen besteht an der Kasse dann doch aus mehreren Teilen (geht es nur mir so oder vermehren sich die Dinge im Einkaufswagen wenn man durch die Markthalle schlendert?). Anschließend sitze ich mit meiner gezogenen Nummer im Umtauschbereich. 20 Nummern sind noch vor mir - und das kurz vor acht Uhr! Die Müdigkeit überfällt mich. Der Blick auf mein Handy ist verlockend. Könnte mich ins kaufhauseigene WLAN einwählen. Gebe kurz nach und stecke das Handy dann doch zurück in die Tasche. Echtzeit. Das wollte ich doch. Aber die sieht hier nicht sehr attraktiv aus. Müde Menschen um mich, viele davon starren auf ihre digitalen Geräte. Ein Kind, das hinter mir auf dem Sofa liegt, rammt seit geraumer Zeit seine Füße in meine Rückenlehne. Ich versuche es zu ignorieren. Eine Stimme zischt: " Jetzt lass die Frau in Ruhe!" Ich drehe mich um. Das Kind, sieht mich erschrocken an. Ich lächle. Leicht gezwungen. "Du bist sicher auch müde, oder? Wartet ihr schon lange hier?" Wir kommen ins Gespräch. Ich erfahre, dass hier die Oma mit ihren zwei Enkel auf die Mutter der Kinder wartet. Das ist die verzweifelte Frau, die seit geraumer Zeit die Kasse blockiert. Zwei Stunden lang hat die kleine Truppe vergeblich nach einer Kommode gesucht, die es angeblich im Laden gibt (laut Internet). Die Kinder sind müde und die Oma hofft einfach, dass sie nun bald heimfahren können - egal ob mit oder ohne Kommode. Ich drücke mein Mitgefühl aus und die Augen der Frau füllen sich mit Tränen. Jetzt kommen auch die Kinder in Plauderlaune. Ich erfahre, dass der Opa heute Geburtstag hat, dass es deshalb Steak zum Mittagessen gab, dass der kleine Drache im Rucksack Konstantin heisst und welche Schulfächer das Mädchen gerne mag. Irgendwann - gefühlt kurz vor MItternacht - kommt die Mama zurück und erklärt erleichtert, dass die Kommode nun bestellt und geliefert wird. Ich freue mich mit ihnen und werde nun endlich auch aufgerufen. Wir verabschieden uns herzlich und wünschen einander gute Heimreise, wie alte Bekannte. Nach dem gelungenen Umtausch schiebe ich meinen Einkaufswagen beschwingt zum Auto. Nicht nur wegen dem Schnäppchen, das ich in der Fundgrube ergattert habe sondern wegen dieser netten Begegung. Von dem Autor John Mark Comer habe ich die Bemerkung gehört, dass uns die digitalen Medien innerlich erschöpfen, während echte Kontakte belebend auf unsere Seele wirken (community vs. connecting). Genau so habe ich das an diesem Abend erlebt.
Ich bin weiterhin auch dankbar für das Internet! Sehr dankbar. Dass ich euch hier schreiben und damit ein wenig von meinem Leben mit euch teilen kann. Aber wenn wir nachher den Computer runterfahren oder die Handys zur Seite legen erwartet uns: Das Leben! In meinem Fall: Wäsche. Dreckspuren im Hausfur (wie oft habe ich dem Kind gesagt die Schuhe an der Haustüre auszuziehen!). Kalter Wind um die Nase, beim Mülleimer nach draußen bringen. Ein bedürftiges Kind, Kieferothopäde und ein langer Nachmittag ohne Ablenkungsprogramm. Oh weh. Das echte Leben ist nicht immer so reizvoll und mein Leben hat wirklich nicht viel Glamour! Aber am Ende ist es eben MEIN Leben. Jetzt und hier. Ein Tag der gelebt werden will und nicht wiederkommt. Auch wenn sich das wie Sätze aus Glückskeksen anhören. Es ist wahr.
Gestern las ich diesen wunderbaren Satz von Madeleine Delbrel- und bekam ihn prompt noch in einer lieben Mail zugeschickt (Danke Sigi!):
Brecht auf ohne Landkarte - und wisst, dass Gott unterwegs zu finden ist und nicht erst am Ziel. Versucht nicht, ihn nach althergebrachten Rezepten zu finden, sondern lasst euch von ihm finden, in der Armut des alltäglichen Lebens.Das will ich: Aufbrechen ohne Landkarte. Mich von Gott finden lassen, in belebenden kleinen Begegnungen, mitten auf dem Weg. Und manchmal brauche ich dazu ein Kind, das mir in den Rücken tritt.
Takeout: Als ich an der Kasse nach dem Umtausch wieder an dem Sofa vorbeikam sah ich erstaunt, dass die Mama mit den zwei Kindern immer noch dasaß! Ich verabschiedete mich nochmal herzlich und sah in erstaunte Gesichter. Da fiel mir auf, dass es eine ANDERE Frau mit ANDEREN Kindern war. Versuchte mich zu erklären. Sehr erheiternder Moment auf beiden Seiten!
Ja, dann will ich gleich mein Tablet wieder zur Seite legen 😉. Aber danke fürs Erzählen von der EchtZeit! Das ist 'ne prima Ermutigung, so oft wie möglich offline zu sein. Es sei denn, es gibt einen guten Blog zu lesen...
AntwortenLöschenMerci.
AntwortenLöschenJulia