Donnerstag, 3. Juli 2014

"Wurfzimmer"

Neulich waren wir für zwei Tage bei Freunden zu Besuch.
Ihr Haus war wunderbar sauber und aufgeräumt. Ich hielt den wilden Sohn an meiner Hand, schaute auf die schön angeordnete Deko in den Regalen und auf den kleinen Tischchen und mir brach innerlich der Schweiß aus. 
 
Hier kommen die Zerstörer!
Mal schauen wie lange es dauert und wir mit unserem Chaos etwas kaputtmachen, umschmeissen oder irgendeine Flüssigkeit auf dem polierten Boden landet (nur für`s Protokoll: es dauerte nicht sehr lange!).

Nun sind meine Freunde überhaupt keine Leute bei denen man sich nicht wohlfühlt und beim gemeinsamen Essen, reden, lachen und spielen entspannte ich mich innerlich.

Trotzdem – wie ich abends in ihrem blank geputzten Badezimmer stand und an unser Chaosbad Zuhause dachte, wurde ich doch etwas deprimiert.
Warum schaffen wir es nicht besser Ordnung zu halten? Wir haben viel zu viel Zeug das wir dringend loswerden müssten, andere Leute haben alles besser auf den Reihe..mit diesen trüben Gedanken ging ich in`s Bett.

Am nächsten Morgen wachte der kleine Sohn früh auf und wollte einen Stock höher, zum Schlafzimmer der Freunde, um nachzuschauen warum sie zu dieser frühen Stunde noch nicht wach waren. Ich hechtete hinterher, doch wir hatten sie natürlich schon längst geweckt und unsere Gastgeber kamen uns im Treppenhaus entgegen. Trotzdem steuerte der Sohn zielstrebig das obere Stockwerk an.

Leicht panisch rief die Freundin: „NEIN! Da könnt ihr nicht hoch.“
Erschrocken blieb Samuel stehen.
Ich schaute auch etwas fragend wegen ihrer heftigen Reaktion. Vielleicht empfand sie ihr Schlafzimmer als zu privat - was ja auch völlig ok ist - oder sie hatte die (berechtigte!) Befürchtung, dass Samu ihr Bett als Trampolin benutzen könnte.
Aber sie meinte erklärend zu uns: „In`s Schlafzimmer haben wir alle Sachen reingeworfen die vor eurem Besuch im Haus rumlagen. Es sieht chaotisch aus, das solltet ihr besser nicht sehen!“
Oh! Und ich dachte bei euch ist es immer so sauber“, sagte ich erleichtert. „Oh nein, wenn du wüsstest...“, meinte die Freundin lachend.
Meine Freunde haben also auch ein "Wurfzimmer“!

"Wurfzimmer“ - so nennen wir unser Zimmer in dem es meistens chaotisch aussieht und in das wir alles reinwerfen können, bevor der Besuch kommt.

Aber es ist auch voll mit Dingen, die wir aussortieren sollten:
altes Zeug, das der Mann noch aufheben will (weil wir es vielleicht ja mal noch brauchen können!?), alte Akten und Bücher, die nicht mal mehr für einen Flohmarkt taugen, kaputte Gegenstände die wir irgendwann mal reparieren wollten, Spielzeug für Kleinkinder, das ist dringend verschenken will und hinter der Tür der Berg Glasabfall, der nie kleiner wird (obwohl wir ständig leere Flaschen abliefern).

Dumm ist, dass wir eine kleine Drei-Zimmer-Wohnung haben und eigentlich kein Platz für ein ganzes "Wurfzimmer"!
Heio arbeitet in seinem neuen Job oft von Zuhause aus, und braucht dringend eine schöne Büroecke.
Samu erzählt uns jeden Tag, dass es größer wird und er sollte irgendwann in naher Zukunft mal ein Zimmer (oder wenigstens einen abgeteilten Raum) für sich haben.
Und ich hätte so gerne eine kleine Ecke in der meine kreativen Dinge ausbreiten und in Ruhe schreiben könnte.
Also genügend Bedarf um unser "Wurfzimmer“ aufzulösen. Aber es ist ein großes Stück Arbeit das wir da in Angriff nehmen müsste um dem Neuen, das gewachsen ist, entsprechend Raum zu geben.

Und ich müsste dann auch den Mut haben, in der gesamten Wohnung ein wenig mehr Chaos zu ertragen - ohne eine Raum zu haben, in dem man einfach kurz alles Durcheinander verstecken kann, wenn Besuch da ist.

Wenn ich so darüber schreibe, dann merke ich, dass es mir innerlich oft genauso geht.

Ich habe irgendwo in einer Ecke meines Herzens einen Ort, an dem ich mein Chaos, meine „schlechten Gefühle“ und meine Erschöpfung verstecken kann. Aber es sind auch alte Lügen und Gedankenmuster, die schon lange rausgeschmissen gehören, an denen ich noch festhalte. Da sind Kisten unter der Rubrik Freundschaften, Mama sein, Ehefrau, Kollegin...mit der Aufschrift: „Ich bin nicht gut genug“ angefüllt mit vielen Beweismitteln.
Ich würde sie so gerne mal aussortieren.

Ich könnte Platz machen, damit neues wachsen kann, aber es ist nicht einfach die Dinge in Angriff zu nehmen.

Neulich war ich auf einem Seelsorge-Wochenende und dabei habe ich ein wenig aufräumen und ausmisten können. Seither ist spürbar mehr Platz zum Leben in mir. Dafür bin ich so dankbar.

Und ich denke an den erleichterten Moment beim Entdecken, dass meine Freundin auch irgendwo ihr Chaos hat. Ich hoffe, dass ich lerne, mutiger zu sein - dass ich keinen Extra-Platz für mein Chaos und meine Schwächen brauche, sondern dass es da sein darf, mitten in meinem Leben und in meinen Begegnungen.

Vielleicht kann ich langsam vertrauen, dass ich geliebt bin, so wie ich bin.

Jesus sagt mir das immer wieder.

Und dann hilft er mir beim Aufräumen.



Und hier ein paar Beweisfotos aus unserem "Wurfzimmer". Ihr seht: es gibt einiges zu tun!





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