Dienstag, 11. Oktober 2022

Erntesegen und die Gnade danach

Meine Hände schmerzen. Wir haben unsere Apfelbäume abgeerntet und es waren unfassbar viele Äpfel an den Bäumen! Für mich hätten es auch ein bisschen weniger getan. In diesem Jahr waren es über 500 kg die auf den Anhänger geladen und von völlig erschöpften Mosterei-Mitarbeitern zu Saft verabeitet wurden. Freude und Nachbarn werden nun mit Apfelsaft beschenkt - ob sie wollen oder nicht! Es ist einfach genauso wie der Vater meiner Freundin, ein kluger alter Bauer, sagte: "Eine gute Ernte ist Segen. Eine schlechte Ernte ist Gnade." Dieses Jahr also Segen. Und weil unsere Helfer kurz vorher krank wurden schmerzen jetzt meine Hände. Letzte Nacht habe ich zu Heio gesagt: "Beim nächsten Erntesegen brauchen wir auf jeden Fall Hilfe! Oder wir machen gleich ein gelbes Band an die Bäume - als Zeichen, dass jeder Spaziergänger gerne miternten darf."

 

 

Dann habe ich gestern auch gleich noch unsere Kleiderschränke aussortiert. Und mich nun endgültig von einigen Klamotten verabschiedet, die ich nur deshalb aufbewahrt habe, weil ich dachte, dass ich irgendwann vielleicht mal wieder reinpasse (haha!) oder weil sie mich an schöne Momente meines Lebens erinnern. Das Kleid das ich vor 14 Jahren bei unserer standesamtlichen Hochzeit getragen haben.  Den Rock den ich mir vor Jahren im Hollandurlaub gekauft habe. Passt nicht mehr. Rausgewachsen. In mehrfacher Hinsicht. Vielleicht ist es die Herbstzeit, die mich dazu bringt mich wieder ein Schritt ehrlicher meiner Vergänglichkeit zu stellen. Die Jugendzeit ist rum. Wirklich. Da gibt`s nichts mehr zu rütteln dran. Und auch die prallen Jahre in der Lebensmitte neigen sich so ganz langsam dem Ende entgegen. Die meisten Träume sind ausgeträumt. Entscheidungen gefallen.  Und es ist gut so.  Ich werde älter. Manchmal macht mir das Angst. Dann erinnnere ich mich daran, was Ruth Graham in  einem Interview einmal sagte (mit weit über 80 Jahren): 

Growing old is a little bit like growing up. It`s not easy, but you can do it.

Altwerden mit der Zeit des Großwerdens zu vergleichen - das gefällt mir. Weil wir das alle schon hinter uns haben. Und weil wir sagen können: Ok, es war nicht immer einfach. Als pubertierender Teenager im Badeanzug. Aber hey: Wir haben es geschafft! Wir sind wirklich und wahrhaftig erwachsen geworden! Ich besitze ein eigenes Konto. Und eine Waschmaschine. Und ich bin in einem Alter angekommen, das ich damals nicht mal denken konnte! Dreissig war in meinem Kopf die Grenze zu RICHTIG ALT! Was danach kam - davon hatte ich einfach keine Vorstellung! Und dann kam noch so viel Gutes! (Eigentlich hat es bei mir ab Vierzig erst so richtig angefangen mit dem guten Leben)
Und nun? Wie löse ich in einem kleinen Blogeintrag ein so großes Thema auf, bei dem ich grade erst ganz am Anfang bin? Ich kann es nicht. Kann nur das tun und darüber schreiben, was mich das Leben hier und jetzt und mittendrin gerade lehrt:
 
Manche Dinge funktionieren nicht mehr so wie bisher. Ich will Neues einüben. Zum Beispiel das, was mir so gar nicht gefällt: Um Hilfe bitten. Und glauben und erleben, dass man Freunde - neben dem Apfelsaft!  - auch damit beschenken kann.
 
Gelbe Bänder! Ein Stück Land loslassen. Anderen die Ernte überlassen. Und mich freuen, wenn sie mit vollen Taschen an uns vorbeiziehen.

Dinge, die wir zu lange mitgeschleppt haben -  in der Hoffnung, dass sie vielleicht irgendwann noch einmal passen - loslassen! Alles was vergangen ist und was nicht mehr sein wird auf einen Haufen schmeissen, ein Herbstfeuer daraus machen und sich mit Würstchen, Bier und bequemer Kleidung davorsetzen.
 
Erkennen, dass schöne Erinnerungen keine Dinge sind, die wir unbedingt aufbewahren müssen. Auch wenn es sich kitschig anhört: Wir tragen sie in uns. Sie müssen nicht unsere Schubladen füllen und nicht mal  die Wände unserer Wohnzimmer schmücken. Es ist unserer innerer Reichtum!
 
Mir eingestehen: Älterwerden ist nicht leicht. Es braucht Seelenarbeit. Und Identitätssuche. Aber hey: Wir haben die Pubertät geschafft! Und am Ende unserer Vorstellung könnte tatsächlich noch das eine oder andere Gute auf uns warten...

Und vielleicht ist es im Leben wie bei der Apfelernte: Da ist der Eine, der wachsen lässt. Der zur Reife bringt. Der gibt, was wir brauchen. In vollen Jahren: Eimerweise Kraft. Tag für Tag. Und Segen, der überläuft.  Und danach? Ein Meer von Gnade, das uns tragen wird.
 





Und wer noch mehr "Altersweisheit" hören will und im Streuobstwiesengebiet Remstal wohnt: Herzliche Einladung am kommenden Freitag, 19:30h zum Frauenabend in Schorndorf in der Versöhnungskirche.

7 Kommentare:

  1. Danke, das habe ich heute gebraucht.

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  2. Lb Christina,
    mein Thema,loslassen und trotzdem im Herzen behalten! Dinge ,ja ,aber auch Menschen
    Mein Thema „ herbstlich abschiedlich leben“
    Ich habe mich entschieden,wieder in die Nähe meiner Geschwister zu ziehen . Auch im Hinblick aufs Älterwerden..sich vielleicht gegenseitig unterstützen,näher zusammenrücken ..
    Aber erst mal loslassen,Schmerz und Trauer ..und Hoffnung auf das Neue dann im Frühjahr!
    Bewahren wir das Schöne und Gewesene im Herzen!
    Doro

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    1. Liebe Doro, da wünsche ich dir ganz viel Segen und Zuversicht für diese Abschiedszeit. Und dem Neuanfang. Was für eine gute Sache ist dieses näher Zusammenrücken! Ganz herzliche Grüße zu Dir zurück!

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    2. Dankeschön! Werde dann auch näher an deinen Wohnort rücken!!

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  3. Was für schöne Herbst-Impressionen;)

    LG

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