Mittwoch, 17. Juli 2024

Von der Sorglosigkeit und dem dicken Typen auf meiner Bettkante

So langsam nähern sich nun auch in unserem Bundesland die Sommerferien. In genau einer Woche werden wir uns auf der Autobahn Richtung Frankfurt befinden, kurz vor unserem 11-stündigen Flug nach Mexico. Der liegt im Moment wie ein riesiger Berg vor mir. Bisher hatte ich keine Probleme mit dem Fliegen (also dem Fliegen in einem Flugzeug). Vielleicht geht nun die Flugangst von meinem Mann auf mich über, oder es ist mein Alter, dass mir manche Dinge jetzt schwerer fallen, die ich früher völlig sorglos angepackt habe. Meine letzten Fernreisen habe ich immer voller Vorfreude in Angriff genommen. Die sind allerdings auch schon einige Jahre her (oder eher Jahrzehnte?). Als ich beispielsweise mit der Freundin an der Westküste der USA  entlang gedüst bin und wir einfach ganz spontan geschaut haben, wo wir übernachten können (schön war's, Martina!). Nur eine Unterkunft, auf unserem Zwischenstopp in New York, hatten wir gebucht - mittendrin in Harlem.  Das hat den dicken Ticketverkäufer in der U-Bahn so in Aufregung versetzt, dass er sogar seinen Schalter verlassen hat und zu uns nach draußen kam, um uns mehrfach und eindringlich zu versichern: "You don't want to go to Harlem!" Unser "But yes, we do!" wurde immer zaghafter. Irgendwann gaben wir nach. Die Chance einmal im Leben Spanish-Harlem zu besuchen zog winkend an uns vorbei, während unser letztes Reisegeld in einem völlig überteuerten und hässlichen Hotel im Manhatten liegenblieb. Ich bereue es bis heute. 

Und jetzt hat sich so ein furchteinflössender Ticketverkäufer auf meiner Bettkante breitgemacht und hindert mich seit Tagen am Einschlafen. "You don't want to go to America!", sagt er mir eindringlich. Er ist bestens über meine Reise informiert. Er hat eine ganze Liste mit den Dingen, die schiefgehen können: Die Unterkunft in Mexico-City (mindestens so gefährlich wie Harlem!), das nicht funktionierende Handy, die Schlangen, die schon unter der Bettdecke auf uns warten, nicht zu vergessen die Reifenpanne in der Wüste von Arizona. Ob wir bei den komplizierten Mietwagenverträgen eine Pannenhilfe zum Mietwagen dazugebucht haben weiß ich nicht. Definitiv haben wir aber, aus Spargründen,  kein Navi im Auto. Das wird sich bestimmt als großer Fehler herausstellen, denke ich. Nachts um drei. Der Ticketverkäufer nickt sorgenvoll. Er weiß um die Gefahren. Er erinnert mich an die Bären im Nationalpark, an überbuchte Unterkünfte, an Donald Trump, an den schlecht gelaunten Teenager auf der Autorückbank und an meine Flugangst. Die ich, wie gesagt, bisher noch gar nicht hatte. Nur der Mann, der friedlich neben mir schlummert. Aber der hat ja auch keine Hitzewallungen! Wie werde ich einen 11-stündigen Flug aushalten, ohne die Möglichkeit ein Fenster aufzureissen, frage ich mich?  Wie übersteht man eine Panikattacke über dem Atlantik? " You don't want to go to America!" sagt der dicke Ticketverkäufer meiner schlaflosen Nächte. Und ich stimme ihm zu.

Wenn ich mich dann morgens todmüde im Spiegel anschaue, sage ich mir: "Jetzt stell dich nicht so an! Das wird doch toll! Sei mal dankbar, was du alles erleben wirst! Und was für Geschichten du danach erzählen kannst! (von Panikattacken und Bärenangriffen!). Und  überhaupt: denk mal an die Freundin, die den ganzen Sommer mit ihrem Kindern in einem überfüllten Freibad in Backnang verbringen muss!" Ach könnte ich doch mit ihr tauschen... Ihr merkt: Es klappt noch nicht so gut, mit dem dankbaren Freuen. Aber ich will es so gerne. Weil ich auch weiß, was für ein Vorrecht das ist. Reisen zu können. Wohin man will. Alles Vertraute hinter sich lassen und neue Eindrücke gewinnen. Und spannende Begegnungen erleben. "Das wird schön", sage ich mir. "Bestimmt", sagt der dicke Ticketverkäufer sarkastisch, "vor allem wenn euer Gepäck auf dem Weg nach Asien ist, während ihr in euren verknitterten Reiseklamotten und ohne Zahnbürste zur Hochzeit in Mexico eintrefft." Oh, dieser Typ nervt! Ich muss ihn dringend, dringend in sein Kassenhäuschen zurückschieben. Und stattdessen intensiver in Richtung von meinem wunderbaren Reisegefährten hören. Der bisher auf jeder Strecke dabei war und in jedem Sturm mein Herz beruhigen konnte. Fürchte dich nicht!, sagt er einfach. Ich bin da. Und diese Erinnerung ist alles, was ich brauche. Er ist da. Überm Altlantik. In der Wüste. Im Angesicht von wilden Tieren und wenn wir den Weg verlieren. Er ist in Harlem. Er ist in Mexico-City. Er ist in der Hitze der Wüste und er wartet am Rande des Pazifiks. Und flöge ich hinauf zum Himmel: siehe so bist du auch da! (Ps.139).  Er wird da sein, so wie er schon immer da war. Auf jeder meiner Reisen. Der einzige Unterschied von damals zu heute ist, dass ich seine Hand fester halten werde, weil mir noch mehr bewusst ist, wie sehr ich ihn brauche. Ach und wie schön wird das sein, wenn er mir seine Welt zeigt...

Jetzt schreibe ich meine Packliste. Als erstes steht da: Mut. Und Vertrauen. Und Neugier. Und auch eine Prise Sorglosigkeit. Die hat sich bestimmt noch in dem alten Reiseführer versteckt. Und wenn heute Abend wieder die Stimme aus dem Dunkel kommt "You don`t want to go to America!" dann sage ich strahlend "But yes, I do!" und zeige auf meinen Reisebegleiter. "Na ja, dann ist das was anderes," wird der Miesepeter grummelnd eingestehen und mir das Ticket aushändigen. "Gute Reise!" 

Gute Reise euch allen, wo immer ihr auf dem Weg seid! Gott ist mit uns. Wie gut.

Ich melde mich, falls ich wenn ich wieder zurückkomme! Bis dahin - habt einen guten Sommer! (bzw. ein gutes Leben! Wir wären dann schon mal am Ziel :-)). 



 






Mittwoch, 3. Juli 2024

Ich bin nicht genug

So langsam tauche ich aus meiner "Schreib-Höhle" wieder auf. Ich blinzle ins Tageslicht, wie eine Bärenmutter nach ihrem Winterschlaf und bin erstaunt wie groß unser Nachwuchs geworden ist.  Das Manuskript liegt jetzt in den Händen von meinem Mann, der schaut ob alle Geschichten auch GENAU SO passiert sind. Er ist sehr wahrheitsliebend. Deshalb liest er alle meine Texte, bevor ich sie veröffentliche. "Fast alle  Texte", würde er mich an dieser Stelle korrigieren. Sein Hang zur unbedingten Wahrhaftigkeit kann schon ein bisschen anstrengend sein! Aber er kennt meine Neigung zur Übertreibungen und deshalb bin ich auch dankbar, dass er mir hilft, so ehrlich wie möglich zu schreiben. 

Es ist ein gutes Gefühl wenn so eine intensive Schreibphase abgeschlossen ist. Gleichzeitig bleibt auch immer die Frage, ob es gut genug ist, was ich gegeben habe, oder ob es nicht doch ein bisschen mehr sein müsste (was durchaus der Grund für die eine oder ander Übertreibung sein könnte).  Heute morgen saß ich jedenfalls ganz entspannt auf unserem Sofa und habe versucht in Gottes Richtung zu hören. Das war nicht so einfach, weil sich unter unserem Dach ein Spatzennest befindet und die kleinen Vögel laut und fordernd zwitschern. Zwischendurch hört man Fügelgeflatter und ein Elternteil bringt Futter, um die hungrigen Mäuler zu stopfen. Was aber immer nur ansatzweise gelingt. Ich lausche dem Treiben unterm Dach jetzt schon seit einigen Wochen (es sind also gleich mehrere Nester oder es ist eine Spatzen-Kita). Ich finde es unfassbar wie hungrig diese kleinen Wesen sind! Der Satz:"Ich habe hunger wie ein Spatz" ist ab sofort für mich das Synonym zum Bärenhunger! Das Rufen und Zirpen hört gar nicht mehr auf, selbst wenn die Eltern schon einige Male das Nest angeflogen haben.  Und natürlich sind die kleinen Spatzen auch in meinem Manuskript gelandet (wenn Heio sie nicht rausstreicht, weil es vielleicht keine Spatzen, sondern nur spatzenähnliche Meisen, sind!).

Diese kleinen Vögel (zu welcher Gattung sie auch immer gehören mögen) bringen mich jeden Morgen zum Lächeln. Auch weil sie mich daran erinnern, wie groß und unersättlich der Seelenhunger von uns Menschenkindern ist. Und der Gedanke ich könnte diesen Hunger mit meinen Worten stillen oder in irgendeiner Art und Weise "genug" für andere zu sein kommt der Vorstellung gleich, dass ich die hungrigen Vogelkinder sättigen könnte wenn ich ihnen ein paar gute Worte und vielleicht auch noch unsere Müslipackung zuwerfen würde! 

Eigentlich wollte ich hier einen Text unter dem Motto: 'Ich bin genug' schreiben. Jetzt kommt mir ein ganz anderer, viel schönerer Gedanke: 'Ich bin nicht genug!'   Zumindest ist das, was ich zu geben habe, nicht genug. Nicht genug für die Lesenden, nicht genug für mein Kind, für meinen Mann und meine Freunde. In dieser Hinsicht sind wir völlig ungenügende Wesen füreinander! Und gleichzeitig sind wir völlig ausreichend in unserem Mensch-sein!  Denn genau so hat sich das Gott gedacht. Nicht dass wir uns gegenseitig satt machen müssen, sondern das wir uns miteinander in einem Nest wärmen und uns in unserer ganzen Bedürftigkeit in Gottes Richtung auszustrecken. Ein bisschen Nestwärme - das können wir uns gegenseitig schenken. Mit guten Worten. Mit kleinen Taten der Liebe. Und darin, dass wir einander wahrnehmen und uns nicht gegenseitig aus dem Nest werfen, vor lauter Verlangen gesehen zu werden. In allem anderen sind wir darauf angewiesen, dass Gott vorbeischaut und genug Futter dabei hat.

So sitze ich jeden Morgen am offenen Fenster. Ich sage Gott wie sehr ich ihn brauche. Wie auch seine ganze Welt. Ich gebe denen, die hier mit mir sind, durch mein Dasein ein wenig Wärme und manchmal auch Anlass zu wildem Geschrei. Und nebenher erzähle ich zum Zeitvertreib die eine oder andere Geschichte (ohne zu sehr zu übertreiben). Und vielleicht helfen meine Worte ein wenig dabei, dass wir geduldig bleiben in unserem Hunger, und nicht verzagen,  bis wir die großen Flügelschläge hören. Und dann öffnen wir unseren Mund weit, dass er gefüllt werden kann.


Foto:Canva

  Deine Nähe sättigt den Hunger meiner Seele wie bei einem Festmahl.
(David in Psalm 63,3)