Dienstag, 28. Juni 2022

So soll es sein.

Letzte Woche habe ich in unserer kleinen und überaus feinen Bücherei im Nachbarort einen Film entdeckt, den ich Samuel schon lange zeigen wollte: Ein Dokumentarfilm über den Schulweg von Kindern. Durch grandiose Landschaften hindurch. Durch Flusstäler Indiens (in dem ein unfassbar fröhlicher Junge von seinen zwei kleinen Brüdern im rostigen Rollstuhl zur Schule gezogen wird!) , über die Hochenene Argentiniens (auf dem Rücken von Pferden) und durch die kenianische Savanne (zwei tolle Kinder die sich jeden Tag, hüpfend und schnell laufend und nur mit einem Stock in der Hand, der Gefahr von wilden Tieren aussetzen). Am Ende des Films waren wir einfach nur tief beeindruckt von diesen Kindern. Und Samuel hat nun seinen ersten Wunsch für Weihnachten: "GENAU DIESEN FILM, Mama!" Ich bin nicht weniger  beeindruckt von den Eltern, die ihren Kindern diesen Weg zutrauen und zumuten. Man kann natürlich sagen: Was bleibt ihnen anderes übrig! Aber die Art und Weise wie sie ihr Leben annehmen und meistern, hat mich wirklich tief berührt. 
 
 
 
Und dann sehe ich unser Leben an.
 
Ich sehe ein Kind, das oft genug über die kleinsten Dinge jammert und seinen - wirklich nicht sehr gefährlichen! - Schulweg an den meisten Tagen so widerwillig geht. Langsam wird mir ehrlich gesagt schon ein bisschen Angst vor der Pubertät Ich fürchte, ich werde eine sehr schlechte Teenager-Mama sein. Und auch das:
 
Ich sehe wie schlecht ich loslassen kann. (Aufgabentrennung ist das neue Wort das ich lernen möchte: Das sind die Hausaufgaben meines Kindes und nicht meine! Zum Beispiel)
 
Ich sehe mich als nörgelnde Ehefrau. Zur Zeit leider viel zu oft!  (auch hier: Aufgabentrennung: SEIN BÜRO - SEIN CHAOS!)
 
Ich sehe wie schwer ich mir immer wieder damit tue, mich so anzunehmen wie ich bin (vielleicht das Nachbeben eines Fernsehauftritts, den ich lieber nicht gemacht hätte ;-))

Ich sehe die Wege über die ich hier gehe, die mir im Moment wieder so fremd sind (Maisfelder gab es im Schwarzwald sehr wenig!) und die mich mit einem großen Heimwehgefühl bei Gott ankommen lassen. 
 
Ich sehe meine Freunde, die gerade schwere Wegstrecken zu meistern haben. Keine wilden Tiere weit und breit und doch, sind ihre Herausforderungen nicht weniger beängstigend.
 
Egal welche Landschaften wir gerade durchwandern, vielleicht ist es tatsächlich so wie der Schriftsteller Frederick Buechner immer wieder betont: Unsere Geschichten sind so unterschiedlich, und doch sind sie es nicht!  Letztlich, so schreibt er, sind es zwei Geschichten die uns begleiten: Die Geschichte Gottes mit uns Menschen, wie er die Welt erschaffen hat, und wie er sie liebt und sie verloren ging und er dabei ist, sie zurückzuholen. Und dann ist da die Geschichte von uns Menschen. Alle auf diesselbe Art und Weise geboren. Alle mit der Aufgabe unsere Kindheit zu überleben - also die schlechten und verwirrenden und schmerzhaften Teile daran. Alle dabei rauszufinden wer wir wirklich sind. Und alle werden wir alt und krank und sterben. Und während wir unsere Geschicht leben, verbindet sich Gottes Geschichte mit der unsrigen.
 
Natürlich ist es sehr vereinfacht dargestellt, aber am Ende des Tages sind wir tatsächlich alle einfach Gottes Menschenkinder auf dem Weg sich finden, liebhaben und nach Hause bringen zu lassen. Wir alle müssen Schulwege meistern. Gefährliche Täler durchqueren. Loslassen. Und die Landschaften unseres Lebens annehmen lernen. 
A-N-N-E-H-M-E-N. So vieles entscheidet sich in diesem kleinen Wort. Darin steckt ein anderes Wort: Amen. Was so viel bedeutet wie: So sei es! Ich spreche dieses Wort ein paar Mal am Tag aus. Meistens ziemlich gedankenlos. Als Abschluss meiner Bitten an Gott. Und  man könnte es deshalb durchaus mit dem ersetzen, wie es der lustige Junge Schlunz im gleichnamigen Kinderbuch tut: Ende der Durchsage. Aber Amen ist ja so viel mehr. Freunde unserer Eltern nannten ihr Kind, das schwer behindert auf die Welt kam, Amina. So sei es. Was für eine Durchsage über einem Leben, das wunderbar einzigartig aber sicher nicht einfach ist! Für mich  klingt es nicht wie ein passive Hinnahme (man kann ja doch nichs ändern, man muß halt zu allem JA und Amen sagen) sondern es klingt fast wie eine Kampfansage: Auch wenn wir uns das Leben anders vorgestellt und gewünscht haben: Dieses wurde uns gegeben und dazu sagen wir Amen. Jeden Tag neu. Und genau das will ich lernen! Hier ist meine Aufgabe (wenn ich schon bei der Aufgabentrennung bin:-)).  Ich will mein Leben im Rahmen meiner Möglichkeiten gestalten und die schwierigen Strecken angehen - auch wenn, um die Ecke das gefährliche Pubertier lauert! Und am Ende des Tages will ich meine Hände öffnen und leise aber ganz bestimmt "Amen" sagen. So sei es. 
 
Amen. 
Zu meinem Weg.  
Zu meinem Kind. 
Zu meinem Mann. 
Zu meinem Spiegelbild (und zu den unsäglichen Fernsehauftritten). 
Zu meinen Nachbarn.
Zu den Feldern vor unserer Haustür. 
Zu dem Leben und der Strecke, die Gott mir heute zumutet.
 
Vielleicht sind wir am Ende alle zusammen auf unserem Schulweg, um genau das gemeinsam zu lernen. 

 
 

5 Kommentare:

  1. Amen, Schwester! Ich kann dich so gut verstehen! Und deine Worte bringen etwas Frieden in mein unruhiges, unzufriedenes Herz.
    Liebe Grüße
    Maria

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  2. Danke! Das musste ich heute lesen!

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  3. Liebe Christina, der Text ist Balsam für meine Seele heute! Das Leben in seiner Unvollkommenheit annehmen, sich selber, das Kind…Amen zu all den Prozessen… Danke!

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  4. Danke, ich bin reich beschenkt durch deine Gedanken, die Gottes Gedanken für mich sind ...

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  5. LIebe Christina, schon lange lese ich deinen Blog und kann mich so oft in deinen Worten und Gedanken wiederfinden. Herzlichen Dank dafür!
    Aufgrund deiner Zeilen habe ich mir den Film "Auf dem Weg zur Schule" auch aus der Bücherei ausgeliehen und er hat mich sehr berührt. Unsere Kinder hatten einen "weiten" Weg zur Grundschule (in gemütlichem Tempo 25 Minuten zu Fuß) und haben immer wieder geklagt ...
    Herzliche Grüße von Annette aus Waiblingen

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