Dienstag, 30. April 2024

Was ich habe

Ende April sind immer unsere Feier-Tage. Zuerst wird  der Sohn ein Jahr älter (jetzt haben wir einen Teenager im Haus!) und kurz danach die Mutter. Wir breiten die weiße Decke über den Tisch, zünden die Kerzen an und feiern. Das heißt: ich versuche zu feiern und mich nicht zu ärgern, dass gleich nach dem Kerzen ausblasen ein Glas Orangensaft über die Tischdecke gegossen wurde (trotz - oder vielleicht gerade wegen! - der mehrfachen Ermahnung, die Decke wenigstens bis zum Kaffeetrinken sauber zu halten). So ist es - das unperfekte Leben. Die Freude und der Ärger, die Dankbarkeit und der Unmut - alle wohnen ziemlich dicht zusammen. Zumindest in unserem Haus. 

In diesem Jahr hatte ich an meinem Geburtstag eine Musiklesung, mit meiner wunderbaren Weggefährtin Christina. Ihr Geschenk ist eine tolle Erinnerung an mein Jahreswort und daran, mich nicht zu sehr an saubere Tischdecken zu klammern ;-).


Bei der Lesung bin ich dann ziemlich oft über meine eigenen Worte gestolpert. Und mittendrin, beim Erzählen meiner Geschichte, überfiel mich das bange Gefühl, dass es doch zu wenig ist, was ich habe. Immer wieder kämpfe ich damit. Und immer wieder mache ich dann meinen Frieden damit. Letztlich ist es einfach das, was ich zu geben habe. Meine Geschichte. Das was ich zum Gespräch beitragen kann. 

Neben mir, auf dem Schreibtisch, liegt ein wunderschöner Kunstdruck von Scott Erickson, den ich zum Geburtstag geschenkt bekommen habe. Erst beim genaueren Hinschauen habe ich entdeckt was darauf abgebildet ist: Ein Schiffbruch. Durch ihn ist eine Insel entstanden, auf die ein Leuchtturm gestellt wurde. Dieses Bild berührt mich sehr. 

 

Heute habe ich die Skizze in dem Buch von Scott Erickson gesucht und gefunden. Der Satz den er dazugeschrieben hat ist folgender: 

May even my grief and brokenness become, in some way, 

a gift to the world around me. 

May my whole life be an offering. 

 

Möge selbst mein Schmerz und meine Zerbrochenheit

ein Geschenk für diese Welt sein.

Möge mein ganzes Leben eine Gabe sein.

 

Das BIld und diese Worte machen mir Mut. Ich will weiter einfach das geben, was ich habe. Auch im neuen Lebensjahr. 

Möge mein ganzes Leben eine Gabe sein. 






Freitag, 12. April 2024

Mein Hoffnungsbaum

Seid ihr auch gerade am Staunen über den Frühling? So sehr wie ich den Herbst liebe - auf eine melancholisch glückliche Art - der Frühling ist so voller Hoffnung auf Leben und trotziger Neuanfänge. Er bringt die Farben nach dem dunklen Winter, das Brummen der dicken Hummeln, die warmen Sonnenstrahlen und den herrlichen Duft vom ersten frischgemähten Gras.

Bei aller Schönheit an unserem Ort gibt es einen Baum über den ich jedes Jahr wieder neu staune. Es ist ein kleiner Apfelbaum, der ziemlich unauffällig am Wegrand steht.


 Erst wenn man näher hinschaut entdeckt man, dass er etwas ganz besonderes ist:

 

Sein Inneres ist fast völlig ausgehöhlt! Jedes Jahr stehe ich mit Heio staunend vor diesem Baum und kann nicht fassen, dass er wieder in voller Blüte steht. Und in jedem (!) Herbst hängen viele kleine Äpfel an ihm. Leider werden sie nicht geerntet, aber ich nehme sie ab und zu beim Vorbeilaufen mit, nachdem sie ins Gras gefallen sind. Und in diesem Herbst möchte ich endlich Apfelmus daraus machen und es an Menschen verteilen, die Hoffnung für ihr Leben nötig haben. Aufs Glas werde ich ein Foto vom Baum kleben und ich wünsche mir, dass dieser trotzige kleine Apfelbaum dem anderen auch so viel Hoffnung macht wie mir.  Jedes Mal wenn ich müde und erschöpft an ihm vorbeikomme, muß ich bei seinem Anblick lächeln!  Er sagt mir:  Egal in welchen Zustand du bist, egal wie ausgehöhlt und müde sich dein Inneres gerade anfühlt - du wirst trotzdem weiter Jahr für Jahr blühen und zur bestimmten Zeit deine Früchte tragen. 

Der Baum flüstert mir auch zu, dass wir an den Früchten aus dem Leben von alten, tapferen Menschen besser nicht achtlos vorbeigehen sollten. Vielleicht ist das eine Sache, die mit der modernen Technik gekommen ist: Wo alte Menschen früher um Rat gefragt wurden und ihre Lebenserfahrung geehrt wurde, fühlen sich heute viele von ihnen einfach nur abgehängt und als Last für die Jüngeren. Wir befragen lieber schnell Google und Co. anstatt bei ihnen anzurufen oder ihnen bei einer Tasse Kaffee eine Weile zuzuhören. Aber mein bestes Apfelkucherezept habe ich nicht aus dem Internet, sondern von meiner Mutter bekommen! Heute wünschte ich, dass ich mehr nachgefragt hätte und hingehört - bei meiner Mutter, meinem Vater und bei meiner Oma. Deshalb freue ich mich umso mehr über die (leider nicht sehr häufige) Begegnungen mit alten Menschen, die mir in so vielem voraus sind.  Ihre Geschichten und die Früchte ihres Lebens, geben mir Hoffnung. 

Und der Baum erinnert mich an das, was der Pastor Rick Warren in einer sehr schmerzhaften Zeit sagte, nachdem sein jüngster Sohn sich nach einer langen seelischen Erkankung das Leben genommen hat (etwas vom schlimmsten was man sich als Eltern nur vorstellen kann). In einem Interview erzählt er, dass er damals diesen Satz, mit Blick auf das Leben seines Sohnes, in sein Tagebuch geschrieben hat:  

In God's garden of grace, even broken trees bear fruit. 

(In Gottes Garten der Gnade tragen sogar zerbrochenen Bäume Früchte).

Und er fügt hinzu: 

And we are all broken. God only uses broken people.  

(Und wir sind alle zerbrochen. Gott verwendet nur gebrochene Menschen.)


DAS erfüllt mich mit großer Hoffnung. Für mich. Für meine Familie. Für meine Freunde. Für meine Gemeinde. Für unser ganze Welt.

 


Mittwoch, 3. April 2024

Zurück nach Hause

Ich hoffe ihr hattet gute Feiertage! Bei uns war es ziemlich trubelig - nicht mal ein Ostergruß hat es in diesem Jahr auf den Blog geschafft! Langsam kehrt wieder Alltag ein. Wäsche waschen, Kind am Bahnhof verabschiedet (er darf noch zwei Tage mit der Tante nach Freiburg) und dort weiterschreiben, wo ich vor Ostern aufgehört habe. 

Davor habe ich nochmal in der Ostergeschichte gelesen, wie Petrus und Johannes zum Grabe gelaufen sind, wie sie es leer vorfanden und: 

dann gingen sie nach Hause zurück. (Johannes20,10).
Über diesen Satz bin ich heute morgen gestolpert. Er ist so profan, mitten in dieser aufregenden Geschichte.  Nach dem Schrecken und dem Schmerz von Gethsemane und Golgatha, nach dem Wettlauf zum Grab und dem fehlenden Leichnam, innerlich wahrscheinlich noch ganz hin und hergerissen zwischen Glaube und Verzagtheit, gingen sie einfach nach Hause zurück. Ob Johannes dort erstmal eine Ladung Wäsche bei Maria abgegeben hat? Ob er gemeinsam mit Petrus die Emmausjünger  nach Hause verabschiedet hat, um dann an seinem Bericht über die vergangene Tage weiterzuschreiben? Wir wissen es nicht. Wir wissen nur: nach den vielen aufregenden Tagen, gingen die Jünger einfach zurück nach Hause, wo auch immer dieser Ort für sie in Jerusalem war. 

Das erinnert mich an die Geschichte von Herr der Ringe. In der Fastenzeit haben Heio und ich es endlich geschafft alle Folgen anzuschauen; mit über 20 Jahren Verspätung! (Erstaunlich wie viel Zeit man plötzlich hat, wenn keine WhatsApp-Nachrichten zu beantworten sind ;-)). Ich fand den Film toll - wenn auch viele Abschnitte ziemlich schrecklich waren. Andere waren dafür ganz wunderbar. Langsam verstehe ich, dass es beides braucht, wenn es eine gute Geschichte sein soll.  Aber das Ende - ach, das war richtig gut! Und das ist schließlich das Wichtigste, finde ich. Nur der Abschied von den zwei besten Freunden Frodo und Sam war tränenreich. Frodo, dessen Wunde nicht mehr verheilen konnte, durfte mit dem weisen Gandalf in den Sonnenuntergang segeln, während sein Freund zurückblieb. Die Abschiedsworte von Frodo haben bei mir die Tränen fließen lassen. Er antwortete auf Sams Bitte, ob er nicht auch mitkommen könnte:

"Nein, Sam. Jedenfalls jetzt noch nicht. Sei nicht traurig! Du kannst nicht ewig entzweigerissen sein. Du wirst noch viele Jahre lang heil und ganz bleiben müssen. Du hast noch so viel Freude vor dir, du bist und tust noch so vieles!"

Und er drückt ihm das Buch seiner Abenteuer in die Hand mit den Worten: 

"Die letzten Seiten sind für dich!"  

Und dann ging auch Sam zurück nach Hause. Dort setzt er sich an den Tisch und sagt einfach

So, da bin ich wieder. 

So endet diese große Geschichte. Und sie endet eben doch nicht. Weil Sam noch einige Seiten vor sich hat. Für ihn beginnt ein neues Kapitel mit den schlichten Worten: "So, da bin ich wieder."

Vielleicht geht es euch ähnlich wie mir und ihr seid auch manchmal ganz entzweigerissen, zwischen all dem wovon wir Abschied nehmen mussten und dem was uns noch anvertraut ist. Und wir kehren zurück in unseren gewöhnlichen Alltag, hin und her gerissen zwischen Glauben und Verzagtheit und der Hoffnung im Herz, dass am Ende doch  alles gut werden möge. Und alles was wir heute tun können ist die Dinge in die Hand nehmen, die Zuhause liegengeblieben sind, mit den Worten: "So, da bin ich wieder."

Wie es für Sam weiterging weiß ich nicht. Aber die Jünger hatten definitiv noch einiges an Freude vor sich. Und einiges was sie auf dem Weg heil und ganz machen würde.  Diese Oster-Hoffnung will ich mitnehmen. Und wenn du sie auch brauchen kannst, dann drücke ich sie dir hiermit in die Hände: 

Du hast noch viel Freude vor dir. Du bist und tust noch so vieles!

Die Geschichte ist noch nicht vorbei.