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Mittwoch, 8. April 2020

Der erste Tag

Die Karwoche hat begonnnen. Ein alter Ausdruck, der mich an meine Oma erinnert. In der Karwoche ging sie, immer schwarz angezogen, jeden Abend zur Andacht in die Kirche. Ab und zu durfte ich auch mit. Ich saß dann neben Oma auf der knarrenden Kirchenbank und lutschte eins ihrer Eukalyptus-Bonbons während ich die leidenden Jesusfigur betrachtete, die am Kreuz, über dem Altar hing. 


Wir sangen aus Omas abgegriffenem Gesangbuch vom Lämmlein das geht und die Schuld der Welt und ihrer Sünden trägt während ich das Blut betrachtete, das aus den Wunden von Jesus floß. Ich spürte, dass über diesen Tagen etwas Geheimnisvolles und Ernstes lag. Die Erwachsenen mahnten mich und meine Schwester in dieser Woche doch bitte nicht so viel zu streiten. Die Folge davon war, dass wir uns in der Woche heftiger stritten als in allen anderen Wochen. Und der Gedanken, dass ich dem Lämmlein, dass doch schon so viel zu tragen hat, nun noch mehr Schmerzen zufügte, bedrückte mich. Der einzige Trost war, dass am Ende der Woche, nach langen Tagen des Scheiterns und Klagens (da passt es ja auch dass das Wort Kar in Karfreitag vom Klagen und Jammern kommt!) , der Ostersonntag kommen würde. Der Tag an dem wir mit einem Glöckle geweckt wurden, um den Has` im Garten zu suchen. Und dann legte mein Papa eine leiernde Kasette in den Rekorder und es dröhnte durch unser Wohnzimmer: Deeeeeer .... (lange Pause) Herr ist auferstanden, ist das nicht wunderbar! Beim "Auferstanden"  warf er uns mit Schwung an die Zimmerdecke (das eine oder andere Mal stieß auch gewaltig unser Kopf dagegen, was so einiges erklären könnte) und dann tanzten wir zusammen durchs Wohnzimmer.  Im Anschluß hüpften wir Richtung Kirche. In meiner Erinnerung war an Karfreitag immer Regen und an Ostern Sonnenschein. Das Licht fiel an diesem Tag durch das Mosaikfenster warm in die Kirche und ich betrachtete voller Freude den Auferstandenen in der Mitte, der mit Waschbrettbauch und einer weißen Leggins aus einem steinernen Becken stieg.


Mit einer neuen Ausgabe des Jugendfreunds (dem spannenden Kinderkirchblättle) und einer großen Osterbrezel in der Hand traten wir dann wieder ins warme Sonnenlicht, um Zuhause weiterzufeiern. Die bedrückten Tage waren vorbei - was für eine Erleichterung! Jetzt durften wir auch endlich wieder, ohne schlechtes Gewissen, nach Herzenslust streiten. Aber das hatten wir ja schon die Tage vorher ausgiebig erledigt.
Wenn ich heute daran zurückdenke muß ich lächeln. Ich bin dankbar für meine Kindheit und meine wunderbaren Eltern. Aber ich weiß auch, dass manche Tage ihre Schatten geworfen haben. Die Tage in denen ich es so sehr für Jesus recht machen wollte und so kläglich daran gescheitert bin. Auch wenn ich heute weiß, dass Jesus genau dafür gestorben ist - weil wir es eben nicht recht machen können! - da ist diese kleine dunkle Ecke in mir geblieben in die ich mich zurückziehe wenn ich scheitere und versage. Mit demselben Gefühl dieses kleinen Mädchens in der Karwoche rede ich mir dann ein, dass ich doch eine  ziemliche Enttäuschung für Jesus sein muß. Vielleicht kann ich deshalb nicht genug über diese Gnade Gottes hören. Vielleicht rede ich deshalb so viel davon wie geliebt wir sind, weil ich dieses kleine schuldbeladene Mädchen immer wieder aus der Ecke ziehen muß, um ihr zu versichern, dass es tatsächlich gut ist! Gerade an den dunklen Tagen. Ostern steht nicht als Belohnung am Ende der Geschichte! Ostern steht am Anfang.
Deshalb feiern wir Christen den Sonntag als ersten Tag der Woche. Für jeden folgenden Tag gilt, auch wenn er noch so voll mit Jammer ist: Gott hat das Dunkel überwunden! Das Dunkel in mir und in dieser Welt. Er hat den Feind besiegt, wenn er auch noch tobt und brüllt- es ist sein Abgesang! Das kommende Reich lässt sich nicht mehr verhindern. Der Auferstandene kommt uns immer, an allen Tagen unseres Lebens, mit offenen Armen entgegen! 
Deshalb esse ich meine Osterbrezel auch schon mal am Karfreitag. Auch wenn Heio kopfschüttelnd dabei zuschaut. Und wenn Samuel in diesen Tagen streitet oder ich mal wieder grandios als liebevolle Mama versage (was durchaus mehrfach am Tag vorkommen kann!) dann sage ich es mir und meinem Kind: Genau dafür haben wir Jesus!

Wie gut! Ach, wie gut ist es NACH Ostern  zu leben!


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