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Montag, 23. Juni 2014

Stoff besorgen- oder: mein Blick in den Abgrund

Es fing alles ganz harmlos an. Eine Freundin schickte mir eine unverfängliche mail mit einem Hinweis auf einen jährlich stattfindenden Stoffmarkt in Ludwigsburg. Es würde sich lohnen hinzugehen, meinte sie. 
Nachdem ich nun seit kurzem selbst Schneiderin bin (ok, ich habe jetzt zum ersten Mal im Leben etwas genäht -ein verwackeltes Herz um genau zu sein), sah ich schon wunderbare Stoffe vor mir, mit denen ich  in naher Zukunft unglaubliche Dinge nähen würde. Ich wusste es- da muss ich hin.
Heio und Samu waren auch schnell überzeugt, nachdem ich mit meinem Gutschein für`s Cafe Lutz gewunken habe und so machten wir uns am Samstag auf den Weg, in`s schöne Ludwigsburg.

Dank einer himmlische Fügung war direkt neben dem Markt ein Spielplatz und ich ließ Mann und Sohn mit dem Versprechen zurück, dass ich in spätestens einer halben Stunde wieder da sein würde. 

Nachdem ich Heio auch noch sein Geburtstagsgeld abgenommen hatte, marschierte ich auf den ersten Stand zu. Die bunten Stoffe flatterten verheissungsvoll im Wind und beim Anblick der schönen Muster und Farben schlug mein Herz höher.
Plötzlich wurde ich heftig von der Seite angerempelt. "Entschuldigung", presste eine junge Frau hervor, bevor sie sich über mich beugte um an den Stoff zu kommen der vor mir lag. Ich entkam ihrem Angriff und wurde sofort von einer weiteren, harmlos aussehenden Frau gerammt.
Ich ging fast zu Boden, richtete mich mühsam wieder auf, da streckte sich ein Arm vor meinem Gesicht Richtung Verkäufer: "Hier, den Stoff will ich auch noch. Ich wollte wirklich nichts mehr kaufen, aber ich muss...er ist so schön!", hörte ich eine klagende Stimme direkt neben mir. 

Ich wurde zum nächsten Stand gedrängt. Hier wurde gerade über die Stabilität der Nadeln diskutiert. "So ein schöner Soff, aber ich fürchte meine Nadel wird dabei abbrechen!", zischte eine Frau ihrer Freundin zu. Wieder wurde ich von hinten angerempelt: "Entschuldigung, darf ich mal?". Ein Stoffballen schwebe an meinem Gesichtsfeld vorbei. Jetzt stand ich ganz vorne, Stoffberge türmten sich vor mir auf. Die Luft wurde langsam knapp.

Was war hier nur los? Ich schaute den Frauen in die fiebrigen Augen und erkannte, was ich nach 5 Jahren Arbeit auf einer Suchtstation sofort erkennen kann: Ich war auf dem Drogenumschlagsplatz in Ludwigsburg geladet. Und die Hetzjagd nach dem besten Stoff ergriff langsam auch mich. Ich kämpfte mich wieder an`s Tageslicht, bereit mich in den Kampf zu stürzen. Wo war der nächste Stand?
"So einen Stoff bekommst du sonst nirgends so günstig", flüsterte jemand neben mir. Ich wandte mich der Stimme der Versuchung zu und sah eine hübsche junge Frau die mir verschwörerisch zuzwinkerte bevor sie schwer beladen mit ihren Stoffen in der Menge verschwandt.
Ich hatte verstanden.  "Bitte, einen halbe Meter hiervon!" Ich schwenkte den Stoffballen hin und her um die Aufmerksamkeit der Verkäuferin zu gewinnen. Endlich entdeckte sie mich und erfüllte mein Begehren. Nach diesem Erfolgserlebnis, ließ ich mir noch weitere Stoffe zuschneiden, an den verschiedensten Ständen, alle bunt und wunderschön. Ich roch verzückt daran. Langsam wurde mir schwindelig. 
Ich hielt einen kleinen Fetzen Stoff in die Höhe und schaute ungläubig auf das Preisschild. "Das ist echt westfälischer Stoff!", erklärte mir der Verkäufer und schien vorauszusetzen, dass mir dieser Hinweis meine Augen öffnen würde - oder zumindest mein Geldbeutel. Ich bin Stoffexperte. Natürlich brauche ich westfälischer Stoff. Heios Geburtstagsgeld wechselt an diesem Tag zum zweiten Mal den Besitzer. "Da vorne gibt es 3 Stoffe für 10 Euro", höre ich jemand rufen. Ich laufe der Meute hinterher, kurz vor dem völligen Kontrollverlust. 

Da bleibt mein Blick an der Uhr hängen. Ist das möglich? Es ist schon so spät? 
Schlagartig wird mir bewusst, dass ich Mann und Kind habe und diese wahrscheinlich schon den ganzen Sandkasten umgegraben haben, während die Ehefrau und Mutter ihr Essensgeld für Stoff verschleudert. 
Ein letzter wehmütiger Blick auf die bunten Stände und ich mache mich auf den Rückweg.

Ich werde freudig begrüßt. "Und, hast du dir was schönes gekauft?", fragt der geduldigste Mann, aller Zeiten. Ich öffne meine Tasche und gebe einen kurzen Blick auf die bunten Stoffe frei. 
"Das sind aber viele! Was willst du denn damit machen?"Meine bessere Hälfte ist erstaunt und auch leicht besorgt.
"Keine Ahnung. Aber es war ein toller Preis! So einen Stoff bekommt man sonst nirgends so günstig", versucht die Stoffexpertin in mir uns zu überzeugen. 
Es kommt die gefürchtete Frage:"Wieviel Geld hast du denn noch übrig?". Ich öffne den Geldbeutel und wir schauen beide staunend auf die Stelle, wo kurz zuvor noch viel Geld war. Stille.
"Vielleicht hab ich ein bisschen zu viel ausgegeben,",räume ich kleinlaut ein." Aber ich hab ja noch den Gutschein! Kommt, ich lade euch zum Kaffee ein." 

Der Sohn springt freudig voraus und wir verlassen den Spielplatz Richtung Cafe. Jetzt erst nehme ich die anderen Väter wahr, die hier mit ihren Kindern auf die Rückkehr ihrer Frauen warten. Manche sehen ganz resigniert und fast aphatisch aus. Sie scheinen sich auf eine lange Wartezeit eingestellt zu haben. Ob ich das rote Kreuz mit Wasser und Decken vorbeischicken soll? 
Aber ich bin ja selbst gerade erst dem Wahnsinn entkommen und sollte schleunigst das Weite suchen.

Wir trinken Kaffee, der Sohn des Vegetariers bekommt sein geliebtes FLEISCH, Heio kauft mir auf dem Rückweg noch Blumen (!!!) und wir fahren wieder nach Hause. 
Hier breite ich den Stoff erstmal in Ruhe auf dem Tisch aus. Was mache ich nun damit? Soll ich ihn verchecken und dadurch wieder an Heios Geburtstagsgeld kommen? Oder alles behalten? Meine Finger fahren an den schönen Mustern entlang und werden wieder ganz zittrig. Vielleicht gibt es bald wieder einen Markt in der Nähe.

Und falls ihr einen guten Tip habt, wie man günstig an guten Stoff kommt, lasst es mich wissen, ok?

auf dem Weg zum Umschlagsplatz



Stoff, wohin das Auge blickt!

und Bänder...

und Knöpfe...

was für schöne Muster überall!

Zuhause entdecke ich noch schönere Muster...ganz ohne Suchtfaktor:-)





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