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Freitag, 17. Januar 2014

we`ll see.

Seit einiger Zeit merke ich, dass ich zunehmend schlechter sehe. Ich habe es lange verdrängt und  einfach Heios Brille für` s Autofahren aufgesetzt (viel besser!!!).
Aber nun beeinflusst es zunehmend meinen Alltag:
Ich winke  wildfremden Leuten von weitem zu, weil ich nicht sicher bin ob es Leute sind die ich kenne oder nicht (und ich winke lieber, weil ich nicht unfreundlich sein will).  
Ich renne zur Straßenbahn bis kurz vor die Anzeigetafel-  vorbei an erstaunten Wartenden- weil ich erst da erkennen kann, dass die Bahn in 10 Minuten kommt. 
Ich kann in der Bäckerei die Preisschilder an den Broten nicht mehr lesen und kann auch auf der Anzeige der Kasse nichts erkennen. Wie eine alte Frau bin ich geneigt der Bäckerin meinen Geldbeutel hinzuhalten und sie zu bitten den entsprechenden Betrag einfach zu nehmen

Wie mir dann eine Freundin erzählt sie hätte geträumt, dass ich erblinde  bin ich endlich in das Brillenfachgeschäft um die Ecke. Hier wurde bestätigt was ich befürchtet hatte: altersbedingt lässt meine Sehstärke langsam nach - das sagt mir so ein junger Brillenträger fröhlich in´s Gesicht. Ich denke entrüstet: so alt bin ich doch noch gar nicht und wie redet denn der mit mir - der könnte ja locker mein Sohn sein! ;-). Nun gut, ich lasse mich überzeugen und bestelle mir Kontaktlinsen. Mir steht keine Brille. Wirklich nicht!!!
Eine Freundin meinte aufmunternd: "Jedem steht eine Brille!", und setzte mir ihre Eigene auf die Nase. "OK, fast jedem steht eine Brille", meinte sie dann und ermutigte mich die Kontaktlinsen auszuprobieren.

Jetzt liegen sie bei uns im Bad. Einmal habe ich es schon geschafft sie mühsam in meine kleinen Augen zu popeln. Und ich muss sagen: die Fernsicht ist überwältigend! Ich kann Blätter an den Bäumen am Ende unseres Gartens sehen(bisher nur grüne Umrissen am Horizont), ich erkenne vom Sofa aus die kleinsten Beschriftungen auf den Buchrücken im Regal, ich laufe wie eine geheilte Blinde durch die Gegend und lese meinem armen Mann alles vor was ich von weitem sehen kann. 

 Nach dem ersten Ausflug mit Kontaktlinsen bin ich begeistert. Aber im Spiegel entdecke ich mit Schrecken eine gealterte Frau, mit vielen Falten um die Augen und um die Lippen(!).  Wer ist das denn??!! Schnell lege ich die Linsen wieder in ihr Wasserbad und genieße für`s erste wieder den gnädigen Weichzeichner, zumindest was mein Spiegelbild angeht. Seitdem schlummern meine Augenöffner friedlich in ihrem Behälter und ich bin noch nicht sicher wie ich weiter verfahren soll.

Heute habe ich mich mit einer Freundin zum Frühstück getroffen. Sie ist zwar ein paar Jahre jünger ist als ich, aber wir sind schon seit langem befreundet. Bei unserem Gespräch fiel mir auf wie sich manches, was wir vor Jahren gedacht und geglaubt haben und wovon wir zutiefst überzeugt waren, verändert hat. 
Manche Ent -täuschungen haben wir erlebt und und da wo wir meinten einen klaren Durchblick zu haben, sind jetzt die Linien verschwommener geworden. Altersbedingte Sehschwäche? Ich meine nicht - vielleicht eher jugendlich überschätzte Sehkraft!

Aber ich bemerke etwas erstaunliches:  wenn auch an manchen Stellen die Linien merklich unklarer werden -  es wächst eine Sehkraft auf andere Dinge.
Während Worte wie "Erfolg", "Berufung", "eigenes Wissen", "richtig oder falsch" verschwommener werden oder aus dem Fokus verschwinden, wird anderes langsam klarer und zentraler.  Wie Landschaften, über denen sich der Nebel lichtet kommen nun andere Worte in`s Blickfeld:  Worte wie "Gnade", "Erlösung"; "Hoffnung", "Vertrauen", "geliebt werden". 
Ich kann es noch nicht wirklich fassen und reibe mir die Augen, bin irgendwo zwischen schwindender Sicht und zunehmender Klarheit.

Nach dem Gespräch heute morgen denke ich mir, dass man vielleicht zweierlei tun kann: entweder frustriert zu versuchen das Unscharfe wieder klar zu stellen, oder aber den Blick dem zuwenden was anfängt ganz langsam ein wenig  heller zu werden.  Diesen Blick wünsche ich mir für die Jahre die kommen: gespannt, leise buchstabierend wie ein Kind, voller Staunen über die neue Welt die sich hier auftut.

In diesem Sinne freue mich auf das älter werden, 
ob mit oder ohne Brille -  wir werden sehen(d). 
Hoffentlich.



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