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Mittwoch, 20. Juni 2018

Die wilden Dinge

Letzte Nacht, ein Uhr, war ich plötzlich hellwach. Irgendein ungewohntes Geräusch hat mich geweckt. Ein hohes Surren und leises Klicken. Sägen nicht Einbrecher genau so ein rundes Stück Glas aus dem Fenster? Oder klingt das nicht so wenn das Vorhängeschloss am Fahrrad aufgesägt wird? (Warum habe ich auch das neue E-Bike draußen stehen lassen und nur an einer Gießkanne festgemacht?) Oder war es das Durchladen einer Waffe? Ein Tier? Ich lausche ins Dunkel. Höre Heios regelmässige Atemzüge neben mir. Er atmet. Gut. Dann muß ich ihn nicht wecken (um zu schauen ob er atmet). Mein Herz klopft weiter wie wild. Ich habe Angst, dass das die kurze Stille vor dem Sturm ist. Wird gleich die Scheibe zersplittern? Ein Einsatzkommando das Haus stürmen? Eine Wasserfontäne aus dem Klo schießen? Das Telefon klingeln? Ich laufe durch den dunklen Gang. Schaue nach ob Samu noch im Bett liegt. Tatsächlich, er ist noch da und - atmet! Gut. Ich mache einmal kurz alle Lichter an und wieder aus. Dass die Einbrecher gewarnt sind. Dann versuche ich  mich wieder zu beruhigen. An Jesus zu denken. Der auch hier im Dunkel ist. Ganz bestimmt. Mein Herzschlag wird langsamer. Mir fallen die Zeilen aus einem Gedicht von Wendell Berry ein:
When the despair for the world grows in me
and I wake in the night at the least sound,
I come into the peace of the wild things. 
(Wenn die Verzagheit für die Welt in mir wächst und ich beim kleinsten Geräusch in der Nacht aufschrecke, dann betrete ich den Frieden der wilden Dinge)

Ich liebe diesen Ausdruck: Der Friede der wilden Dinge. Unsere Welt ist tatsächlich voller wilder Dinge. Dinge, die da draußen im Dunkel liegen und die wir überhaupt nicht im Griff haben! So wenig wie unser eigener Herzschlag und der Atmen der Menschen die wir lieben.
Neulich haben wir eine Tramperin mitgenommen. Ein junges Mädchen, das ein Jahr lang auf Weltreise war und nun war sie auf den letzten Kilometern, kurz vor Zuhause. Ihre Mutter wartete bereits, mit Sauerkraut auf dem Herd. Wir hatten eine spannende Fahrt, sie sprudelte nur so über von den wilden und wunderbaren Dingen, die sie in den letzten Monaten erlebt hatte. "Und in einer Nacht wäre ich fast gestorben!", erzählt sie uns. Wir hängen an ihren Lippen während sie uns die Nacht in den Bergen Argentiniens beschreibt. Alleine im Zelt, friedliche Wildnis, und draußen plötzlich  merkwürdige Kratzgeräusche. Naher Atem. Sie späht durch ein kleines Loch in die Nacht und ist Auge in Auge mit einem Puma! Aufgeregt versucht sie ihn mit der Kamera einzufangen und wartet, bange Minuten, bis der seine Neugier befriedigt hat und wieder im Dunkel verschwindet. Sie erzählt es mit Ehrfurcht, zittern in der Stimme. Sie hat dem wilden Leben mutig ins Gesicht geschaut. 
Ich hingegen würde NIEMALS alleine in den argentinischen Bergen campen. Soviel ist sicher. Aber ich sehe auch Nachts manchmal wilde Dinge vor mir. Ängste schleichen sich ins Herz wie bedrohliche Raubtiere, die mir das Liebste nehmen wollen. Ich spüre die Zerbrechlichkeit unseres Lebens. Die Begrenzung meiner Menschlichkeit. Wie wenig ich die Dinge im Griff habe. Die kleinen nicht, und die großen schon gar nicht. Und ich taste nach dem,  der einen Sturm anschnauzen kann wie einen Hund. Und Wellen mit einer Handbewegung zur Ruhe zwingt.(H.P. Wolfsberger). Er kann auch mein Herz still machen. Voller Friede. Mitten im Dunkel. Umgeben von wilden Dingen. Und das tut er, wie in vielen Nächten zuvor, auch in dieser Nacht. Und irgendwann schlafe ich weiter.

ER ist da. Tag und Nacht.

Er weiß, besser als wir selbst, wie viel uns in dieser Welt überfordert.

Er kennt unsere Begrenztheit.

Er weiß was uns Angst macht.

Er weiß worüber wir besorgt sind.

Der Schöpfer und Herr über die wilden Dinge ist unser Hirte.


Und diese Karte kam passenderweise heute bei uns an , nachdem ich den Text geschrieben haben :


Wie gut, dass wir nicht alleine unterwegs sind!
 

Und hier noch ein paar Fotos aus unserem "wilden Leben" in Stuttgart:





ruhige Momente drinnen....

... und die wilden Tiere draußen, die auf die Fütterung warten.


Warnschilder beachten!
Blumen und Früchte aus dem wilden Garten, im Überfluß!
auf dem Heimweg....

2 Kommentare:

  1. Hallo Christina,
    Es ist 1 Uhr Nachts und ich kann nicht schlafen. Also nutze ich die Zeit um mal wieder in deinem Blog vorbei zuschauen. Es ist zum lachen und auch irgendwie zum weinen als ich mich in dem wiederfinde was du über deine Nachtängste schreibst. Es hätte genauso gut eine Beschreibung meiner Nächte in letzter Zeit sein können. Auch wenn ich meine Ängste immer wieder zu Jesus bringe, braucht es eine Zeit bis sich der Herzschlag wieder beruhigt, das wilde Gedankenkarussel langsamer wird um endlich zum Stillstand zu kommen. Ich habe es nicht in der Hand aber ER hat es!
    Diese Gewissheit zu haben ist immer wieder tröstlich.
    Dein Text hat es mir wieder neu bewusst gemacht, aber auch getröstet - ich bin nicht allein , schlaflos in der Nacht ;-)
    Ganz lieben Gruß Enny

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    1. Ach liebe Enny - WIE SCHÖN! Danke für dein Kommentar. Da treffen sich doch tatsächlich zwei Schlaflose, nachts um ein Uhr :-). Segen und friedvolle Nächte wünsche ich Dir!!! (und mir)

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