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Dienstag, 26. Juni 2018

Und was kommt nach dem Frühstück?

Die Tür geht zaghaft auf, ein Lichtstrahl fällt über meine Bettdecke und schmerzt mir in den Augen. Ich sehe die Umrisse eines kleinen Menschen, der versucht eine kurze Hose über seinen Kopf zu ziehen. Oder ist es ein T-Shirt? Heio kommt ins Zimmer und sagt: "Guten Morgen. Frühstück ist fertig!" Ich schaue auf den Wecker und stelle fest, dass ich verschlafen habe. Das ist jetzt in meinem Fall nicht so schlimm weil kein Arbeitgeber auf mich wartet. Trotzdem drückt mich ein wenig das schlechte (Mama-)Gewissen . Daneben rückt die Dankbarkeit, dass ich ausschlafen durfte und mich nicht mehr ganz so krank fühle wie in den letzten Tagen. Ich rufe dem davoneilenden Sohn noch hinterher, dass er besser eine Jacke anziehen soll und ob er auch seine Wasserflasche hat. Hat er nicht. Ich stolpere in sein Zimmer, hieve mich auf sein Hochbett und eile ihm mit der Flasche hinterher. Ein Abschiedskuß. Dazwischen fragt mich der Mann nach meinen Plänen für den Vormittag. Die Antwort ist ähnlich wie die gestrige, und die vom Tag davor: "Ich weiß es noch nicht genau." Eine hastige Umarmung. Rums. Die Tür fällt ins Schloß. Stille. In der Küche gieße ich braunes Gold in den Kaffeebecher und betrachte die Lebensspuren auf und unter dem Küchentisch. Was für ein Luxus mal wieder in Ruhe zu frühstücken; meine Lieblingsmahlzeit des Tages. Während ich so dasitze kommt mir wieder die Geschichte in den Sinn über die ich in den letzten Wochen so oft nachdenke: Die Jünger am See Tiberias. Zurück von Jerusalem, dorthin wo ihre Geschichte mit Jesus angefangen hat. Nur dass ER dieses Mal nicht dabei ist. Sie tun das einzige was sie gut können: Fischen. Aber es funktioniert nicht mehr. Eine ganze Nacht lang nicht. Müde blinzeln sie ins Morgenlicht und: da steht Jesus am Ufer. Und von all den gewaltigen Worten die der Auferstandene sagen könnte sagte er einfach: "Kommt her! Frühstück ist fertig." Ach, ich liebe Jesus!

Ich fühle mich gerade oft so wie die Jünger in der Geschichte. Müde. Von kleinen Dingen, die andere scheinbar mühelos stemmen. Ausgepowert. Nach einer Lesung brauche ich eine Woche Erholung. Mindestens. Und ich bin oft ein wenig frustriert über den mageren "Fang". Mein zweites Buch zum Beispiel verkauft sich nicht so gut wie ich das erhofft hatte. Ich weiß nicht genau woran es liegt. Ich finde ja es ist das Beste was ich bis hierher geschrieben habe :-). Und dann denke ich: Wenn das nicht "ankommt" was soll ich dann noch schreiben? Soll ich überhaupt noch schreiben? Oder gehe ich zurück zu dem was ich gelernt habe. Aber ich fürchte das funktioniert nicht mehr. Einfach deshalb weil ich keine Nächte mehr durchhalte (Ich glaube im Pflegeberuf brauchte es fast so viel Durchhaltekraft wie in der Fischerei. Alles Helden seid ihr!). Also sitze ich hier und blinzle auf die Umrisse am Ufer die entweder scharfe, gefährliche Klippen oder aber die Umrisse von Jesus sein könnten. Und dann höre ich die Worte: "Komm her, Frühstück ist fertig!"  "Aber Jesus, was ist mit dem Rest des Tages?" Er antwortet nicht. Lädt mich nur lächelnd ein, dass ich mich zu ihm setze. 

Von Meister Eckhart kommt der Satz, dass Gott nicht dadurch gefunden wird indem man der Seele etwas hinzufügt, sondern dadurch dass man etwas abzieht. Weniger wird. Ich denke so oft dass ich mehr sein muss. Dass mein Leben mehr sein müsste, größer, kraftvoller, erfolgreicher. Effektiver. Zumindest doch klarer und zielgerichteter. Aber was meine Seele tatsächlich braucht ist das weniger. Das Einfacher werden. (das ist übrigens auch etwas was ich beim Schreiben lerne). Brot und Fisch. Ein Feuer an dem man sich aufwärmen kann. Liebevolle Einladung. "Komm her. Frühstück." 

Während ich nicht viel tue, als kauen und still bei Jesus sitzen, spüre ich etwas davon was der Mystiker Eckhart begriffen hat: 
Mein Dasein hängt daran, dass Gott mir nahe und gegenwärtig ist.
Das zu fassen ist wichtiger als die Pläne für den Rest des Tages in die Hand gedrückt zu bekommen. (und ich fürchte es wird noch viele gemeinsame Mahlzeiten mit Jesus brauchen damit ich das auch nur ansatzweise begreife!)

Und nach dem Frühstück? Spüle ich die Kaffeetasse. Fege den Boden. Gehe die Hasen füttern. Schreibe ich ein paar Sätze. Hole ich die Mülltonne vom Gehweg und grüße meine Nachbarn.

Der Tag wird sich entfalten. 

Das Leben wird sich entfalten.

An der Seite von Jesus.


Mittwoch, 20. Juni 2018

Die wilden Dinge

Letzte Nacht, ein Uhr, war ich plötzlich hellwach. Irgendein ungewohntes Geräusch hat mich geweckt. Ein hohes Surren und leises Klicken. Sägen nicht Einbrecher genau so ein rundes Stück Glas aus dem Fenster? Oder klingt das nicht so wenn das Vorhängeschloss am Fahrrad aufgesägt wird? (Warum habe ich auch das neue E-Bike draußen stehen lassen und nur an einer Gießkanne festgemacht?) Oder war es das Durchladen einer Waffe? Ein Tier? Ich lausche ins Dunkel. Höre Heios regelmässige Atemzüge neben mir. Er atmet. Gut. Dann muß ich ihn nicht wecken (um zu schauen ob er atmet). Mein Herz klopft weiter wie wild. Ich habe Angst, dass das die kurze Stille vor dem Sturm ist. Wird gleich die Scheibe zersplittern? Ein Einsatzkommando das Haus stürmen? Eine Wasserfontäne aus dem Klo schießen? Das Telefon klingeln? Ich laufe durch den dunklen Gang. Schaue nach ob Samu noch im Bett liegt. Tatsächlich, er ist noch da und - atmet! Gut. Ich mache einmal kurz alle Lichter an und wieder aus. Dass die Einbrecher gewarnt sind. Dann versuche ich  mich wieder zu beruhigen. An Jesus zu denken. Der auch hier im Dunkel ist. Ganz bestimmt. Mein Herzschlag wird langsamer. Mir fallen die Zeilen aus einem Gedicht von Wendell Berry ein:
When the despair for the world grows in me
and I wake in the night at the least sound,
I come into the peace of the wild things. 
(Wenn die Verzagheit für die Welt in mir wächst und ich beim kleinsten Geräusch in der Nacht aufschrecke, dann betrete ich den Frieden der wilden Dinge)

Ich liebe diesen Ausdruck: Der Friede der wilden Dinge. Unsere Welt ist tatsächlich voller wilder Dinge. Dinge, die da draußen im Dunkel liegen und die wir überhaupt nicht im Griff haben! So wenig wie unser eigener Herzschlag und der Atmen der Menschen die wir lieben.
Neulich haben wir eine Tramperin mitgenommen. Ein junges Mädchen, das ein Jahr lang auf Weltreise war und nun war sie auf den letzten Kilometern, kurz vor Zuhause. Ihre Mutter wartete bereits, mit Sauerkraut auf dem Herd. Wir hatten eine spannende Fahrt, sie sprudelte nur so über von den wilden und wunderbaren Dingen, die sie in den letzten Monaten erlebt hatte. "Und in einer Nacht wäre ich fast gestorben!", erzählt sie uns. Wir hängen an ihren Lippen während sie uns die Nacht in den Bergen Argentiniens beschreibt. Alleine im Zelt, friedliche Wildnis, und draußen plötzlich  merkwürdige Kratzgeräusche. Naher Atem. Sie späht durch ein kleines Loch in die Nacht und ist Auge in Auge mit einem Puma! Aufgeregt versucht sie ihn mit der Kamera einzufangen und wartet, bange Minuten, bis der seine Neugier befriedigt hat und wieder im Dunkel verschwindet. Sie erzählt es mit Ehrfurcht, zittern in der Stimme. Sie hat dem wilden Leben mutig ins Gesicht geschaut. 
Ich hingegen würde NIEMALS alleine in den argentinischen Bergen campen. Soviel ist sicher. Aber ich sehe auch Nachts manchmal wilde Dinge vor mir. Ängste schleichen sich ins Herz wie bedrohliche Raubtiere, die mir das Liebste nehmen wollen. Ich spüre die Zerbrechlichkeit unseres Lebens. Die Begrenzung meiner Menschlichkeit. Wie wenig ich die Dinge im Griff habe. Die kleinen nicht, und die großen schon gar nicht. Und ich taste nach dem,  der einen Sturm anschnauzen kann wie einen Hund. Und Wellen mit einer Handbewegung zur Ruhe zwingt.(H.P. Wolfsberger). Er kann auch mein Herz still machen. Voller Friede. Mitten im Dunkel. Umgeben von wilden Dingen. Und das tut er, wie in vielen Nächten zuvor, auch in dieser Nacht. Und irgendwann schlafe ich weiter.

ER ist da. Tag und Nacht.

Er weiß, besser als wir selbst, wie viel uns in dieser Welt überfordert.

Er kennt unsere Begrenztheit.

Er weiß was uns Angst macht.

Er weiß worüber wir besorgt sind.

Der Schöpfer und Herr über die wilden Dinge ist unser Hirte.


Und diese Karte kam passenderweise heute bei uns an , nachdem ich den Text geschrieben haben :


Wie gut, dass wir nicht alleine unterwegs sind!
 

Und hier noch ein paar Fotos aus unserem "wilden Leben" in Stuttgart:





ruhige Momente drinnen....

... und die wilden Tiere draußen, die auf die Fütterung warten.


Warnschilder beachten!
Blumen und Früchte aus dem wilden Garten, im Überfluß!
auf dem Heimweg....

Mittwoch, 13. Juni 2018

Nach dem Sturm

So. Nun war die Vesperpause doch ein bisschen länger als gedacht. Und wie so oft, fällt es mir schwer die letzten Wochen und Monate in Worte zu fassen. Vieleicht zeigt es dieses Bild von letzter Woche ganz gut:


Am Abend vorher hatten wir ein richtig heftiges Gewitter. Unser Keller stand unter Wasser. Ich stand mit einem Fuß in der Toilette (aus der eine Wasserfontäne kam) und der Rest der Hausbewohner hat im Akkord Wasser nach draußen geschöpft. Zuerst bei uns, dann auch noch in der Nachbarschaft. Es war ein ziemliches Abenteuer. Am Morgen danach haben wir die Schäden betrachtet. Heio hat die  durchweichten Kisten aus dem Keller geholt und meine Tagebücher -die ich einfach weggeschmissen hätte - zum Trocknen in die Sonne gelegt  Dann hat er schweren Herzens auch ein paar Dinge entsorgt.(YESSS!!!)
Im Garten waren seine liebevoll hochgezogenen Pflanzen abgeknickt oder sogar aus dem Beet geschwemmt. Unser neuer Pavillion, unter dem wir die WM-Spiele mit den Nachbarn verfolgen wollten, war völllig in sich zusammengebrochen. Woraufhin unser Nachbar mit Samu sofort losgefahren ist um es durch ein neues Gartenzelt zu ersetzen. Was sein muß, muß sein. Heio widmete sich wieder geduldig der Gartenarbeit und pflanzte manches nochmal neu ein. Und ich war einfach nur müde von der vorausgegangenen Nacht.
Die letzte Zeit hat sich ein wenig so angefühlt wie dieser Morgen nach dem Sturm. Ich sortiere durch die Dinge. Ziemlich müde. Immer wieder fahre ich mit meiner Schwester in den Schwarzwald um unser  Zuhause auszuräumen. Das meiste kann weg (meine Schwester ist Weltmeister im Ausräumen!) Manches fällt mir schwer loszulassen. Und doch weiß ich, dass es besser ist. Es wird einfach nicht mehr gebraucht. Ein paar Dinge bewahre ich auch auf. Kleine Erinnerungen. In den Augen anderer einfach nur Gegenstände. Für mich erzählen sie wunderbare Geschichten.


Und neben dem praktischen Aufräumen sind da auch die Dinge in mir. Trauerarbeit nennt man das wohl. Mit so viel Arbeit habe ich ehrlich gesagt gar nicht gerechnet. Meine Mutter wurde ja nicht urplötzlich aus dem Leben gerissen. Und man kann durchaus sagen: Sie starb alt und lebenssatt. Sollte man sich da nicht einfach freuen und dankbar sein, dass man sie so lange hatte? Ja. Und trotzdem. Sie fehlt. Und da war diese nahe Begegnung mit dem Tod. Und da werden plötzlich alte Geschichten wieder ganz lebendig. Es hat mehr erschüttert als ich dachte. Manche Wahrheiten sind nur deshalb nicht weggeschwemmt, weil ich die dunklen Gedanken zurückgedrängt habe, als würde ich mit einem Fuß in der Toilette stehen. Aber manches wurde beschädigt. Einiges davon ist plötzlich nicht mehr so wichtig und kann beruhigt aussortiert werden. Manche alte Last kann ich endlich loswerden. Anderes lege ich nochmal in die Sonne und warte ein wenig ab. Manche Überzeugungen haben Schaden genommen, angeknackst, wie die Stangen unseres Pavillions. Wie praktisch wäre es, wenn man einfach im himmlischen Ersatzteillager alles neu besorgen könnte! Stattdessen geht es ans mühsame Reparieren. Stück für Stück. Sorgfältig wird nachgeschaut wo der Schaden liegt. Ich lese nochmal durch die "Gebrauchsanweisung". Manche Worte muss ich wieder direkt von dem Jesus der Evangelien hören. Das mit dem ewigen Leben, das hast du doch gesagt, oder? Das meinst du doch auch genauso, oder? Das Herz wird mit Gnade "geklebt" und liebevoll gehalten bis es wieder fest wird. Das kann dauern. So wie Pflanzen wieder Zeit brauchen um sich erneut in den Boden zu graben. Noch ein wenig tiefer als vorher.

Der wunderbare Floyd McCLung sagte einmal: If you can`t grieve well, you can`t grow well. Trauern und Wachstum hängt zusammen. Das sind heftige Worte in unserer Kultur, in der wir Leid und Schmerz wo es nur geht umgehen, abkürzen oder wenigstens betäuben wollen. Im jüdischen Glauben nimmt man sich Zeit zum Trauern. Es ist wie eine Disziplin auf die man sich ganz bewusst einlassen soll. Da gib es so etwas wie eine geistliche Choreographie für ein ganzes Trauerjahr. Und dann jährliche Gedenkfeste. Das fehlt uns in der christliche Kultur. Wir geben uns ein paar Wochen nach dem Sturm und dann sollte man aber auch drüber weg sein. Sonst stimmt was nicht. Aber das ist nicht wahr. Unsere Seele braucht Zeit. Manchmal länger als uns lieb ist. Wir dürfen das  "in die Sonne legen" nicht abkürzen. Unsere müde Seele nicht einfach ingorieren. Wir sollten das Aussortieren nicht umgehen. Und auch nicht das repariert werden (oder das "Papariert" werden wie Samu das immer nannte, wenn er seinem Papa etwas zum reparieren hinhielt). Heil werden. Am schwersten ist es vielleicht das Stillhalten zu lernen, bis wir wieder liebevoll neu eingepflanzt werden.

Take courage my heart,

learn to grieve well. 

And  you will grow well.