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Mittwoch, 10. Mai 2017

Neues Land

Die Fassade "unseres" Hauses wird gerade renoviert. Das heißt am frühen Morgen wird schon mal gegen die Rolläden vom Schlafzimmer geklopft mit der Bitte sie zu öffnen und wenn ich müde ins Bad wanke, grüßt ein schwäbischer Bauarbeiter durchs Fenster. Solche Situationen versetzen mich immer in innere Unruhe. Heio hat mich heute morgen etwas sorgenvoll angeschaut, weil ich wieder seit Tagen mit Migräneanfällen kämpfe und entsprechend fertig aussehe und er meinte warnend: „Denk bloß nicht, dass es deine Aufgaben ist die ganzen Bauarbeiter zu versorgen.“ Er kennt mich halt nur zu gut. Tatsächlich habe ich mir schon Gedanken darüber gemacht ob ich es zum Bäcker schaffe und ob noch genug Kaffee da ist. Außerdem überfällt mich bei den emsigen Arbeitern am Fenster das Gefühl, dass ich dringend auch etwas richtiges TUN sollte. Garten umgraben. Flüchtlinge besuchen. Einen Job suchen. IRGENDETWAS. Aber es geht nicht. Am liebsten würde ich ein Schild am Fenster anbringen das mein Zuhaus-sein rechtfertigt. Darauf würde dann sowas stehen wie: 

Fertige Frau. Zu lange alle Bauarbeiter dieser Welt versorgt!

Aber ich tue es natürlich nicht. Stattdessen traue ich mich in den Garten zum Hasengehege. Ach, unsere Hasen! Ich bin total verliebt in diese zwei kleinen niedlichen Geschöpfe, die seit zwei Wochen bei uns sind. Nein, das wird kein "Hasenblog" - wie Julia schon so vorsichtig (und vielleicht etwas besorgt) angefragt hat. Aber, schaut mal: sind die nicht süß???!!!!

wir beschnuppern uns...


Flockson bei der kleinen Hasenwäsche


Frenzy im Glück

Ich sitze einfach nur nebem dem Gehege, beobachte die wilden Sprünge und genussvollen Pausen in denen die Beiden unsere ganzen Vergißmeinnicht niedermachen und merke, wie gut mir das gut tut. Und wie schwer mir das immer noch fällt: einfach nur DA sein und  den Moment genießen. Eine viel zu lange Zeit in meinem Leben habe ich das nicht getan. In meiner krankhaften Annahme, dass das Leben nur aus dienen und sich aufopfern und Hingabe besteht. Aber wir haben auch einen „heiligen Auftrag zur Freude“, wie Frederick Buechner das so wunderbar schreibt. Wir sind gerufen uns an den kleinen Hüpfern von Hasen zu freuen, an verspielten Sonnenstrahlen zwischen blühenden Ästen, an den kleinen Lachfältchen in den Augenwinkeln des Menschen den man liebt, am Wind, dem Geruch von gerösteten Kaffeebohnen - ach an so vielen wunderbaren Dingen, die es auf dieser Welt gibt.

Es kommt mir vor als hätte mein Leben in den letzten Jahren eine Vollbremsung hingelegt. Einfach weil es nicht mehr anders ging. Weil der Motor heiß gelaufen war und kurz davor stand richtig kaputt zu gehen. Und ich setzte mich neben dem qualmenden Wagen ins Gras und staune über die Blumen die hier blühen. Es ist wie ein neues Land in dem ich mich bewege. Oft noch völlig unsicher. Weil ich die Sprache nicht kenne und keine vertrauten Wegmarkierungen finde. Und immer wieder kommt noch der Gedanken, dass wir das „alte Gefährt“ wieder zum Laufen bringen müssen. Aber das Gefährt macht das nicht mehr mit. Und diesem Umstand verdanke ich das Glück, in diesem neuen Land zu sein.
Neulich las ich etwas in dem wunderbaren Buch von Tomas Sjödin Warum Ruhe unsere Rettung ist, was meine Situation so treffend beschreibt. Auch wenn es Sr.Sofie ist, die hier von ihrem Zusammenbruch erzählt. Sjödin schreibt über das Gespräch mit ihr:

Wir unterhalten uns eine Weile darüber, dass ihr Buch aus einer großen Müdigkeit heraus entstanden ist, und das, obwohl sie sich selbst früher als `eine von diesen Supereffektiven` beschrieben hätte...Das Supereffektive stand offenbar dem Eigentlichen im Weg. "Als ich gezwungen wurde anzuhalten", erzählt sie weiter,"entstand eine neue Art der Kreativität, eine Folge von Tätigkeiten, die mir etwas gaben, statt nur von mir zu fordern, bis ich leer war. Und das Schreiben, das jetzt in mein Leben kam, fühlt sich viel fruchtbarer an als allles, was ich vorher getan habe."
Alles begann in der Ruhe. Und es begann zu blühen als sie ein bisschen zu müde war.

Ich habe jeden Satz unterstrichen, weil ich ganz ähnliches erlebe. Vielleicht stand auch bei mir das Effektive dem Eigentlichen im Weg. Und vielleicht gibt es eine Berufung die Gott vor allem in erschöpfte, müde gewordene Hände legen kann. Weil man Dinge wahrnehmen lernt, die man nur entdeckt, wenn man stillhält. 
"Zeuge sein, von dem was ist", diesen Satz habe ich mal irgendwo gelesen. Und ich habe lange genug Sonntagabends den Tatort angeschaut um zu wissen: die besten Zeugen sind diejenigen, die Zeit haben um richtig hinzuschauen. Die kleine Detais wahrnehmen. Hinhören, was andere überhören. Die wach und aufmerksam sind und einfach ganz DA sind.  Vielleicht meint Gott auch so etwas, wenn er uns sagt, dass wir seine Zeugen sein sollen. Das ist ja kein Ruf zu hektischer Betriebsamkeit. Sondern eher dazu ruhig zu werden. Hinhören. Genau hinschauen. Kleine Details wahrnehmen. Zeugen seines Handelns werden. Vielleicht beginnt das mit der Erlaubnis zum Nichstun, kleine Hasen beim Hüpfen beobachten während andere, ein paar Meter weiter, alten Häusern ein neues Kleid anlegen. Es beginnt in der Ruhe. Und manche von uns gelingt das erst dann, wenn wir für alles andere zu müde geworden sind.
 
Ich gehe schüchtern wieder an den Bauarbeitern vorbei ins Haus. Und sehe, dass unser Vermieter einTablett mit Kaffee für alle hingestellt hat. Als würde Gott mir lächelnd damit sagen: Siehst du. Ich versorge andere, während du lernst still zu halten. Zeuge zu sein. Willkommen im neuen Land! 

 







10 Kommentare:

  1. Danke!

    von einer erschöpften, müden Mama.

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    1. Gerne. Liebste Grüße zurück und Kraft und Segen für deinen Alltag (und ein bisschen Zeit um einfach nur dazusitzen und müder "Zeuge" zu sein)

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  2. ich bin nicht Mama, aber auch oft ganz schön erschöpft -- wobei ich noch weniger als du sagen könnte, wovon überhaupt.
    Es sind sehr süße Hasen.
    Du schreibst wunderbar.

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    1. Oh ja, auch ohne Mama zu sein, kann man durchaus sehr erschöpft sein! Wünsch dir erholende Momente und schick dir liebste Grüße!!!

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  3. Liebe Christina
    Ich möchte auch lernen, ein solcher Zeuge zu sein. Ehrlich gesagt spricht mich das auch viel mehr an, als die altbekannte Version, die sehr oft Krampf und Kampf ist - die schreckt mich nämlich oft einfach nur ab.
    Was, wenn durch dieses Zeuge sein viel mehr "gesagt" wird - weil wir Seine Schöpfung sprechen lassen, das Wunder wirken lassen, Ihn Sein Werk machen lassen auf dieser Welt? Vielleicht ist das sogar effektiver?
    Wohl nicht ganz so müde wie du, etwas mit einer Migräne kämpfend, aber sehr angesprochen vom Zeuge sein im neuen Land grüsse ich dich herzlich aus der Schweiz! Mü

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    1. Herzlicheste Grüße zurück in die schöne Schweiz (in so einem schönen Land muss man ja einfach Zeuge sein :-)). Hab neulich ein schönes Zitat gelesen: The kingdom of God is not fighting but farming. Denke, das drückt das aus, was wir uns im neuen Land erhoffen... Segen für dich!!!

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  4. Ich finde es so angenehm was du schreibst. Unsere Zeit ist so hektisch geworden und dabei ist es so schön einfach mal zur Ruhe zu kommen und inne zu halten. Und ich liebe diese Hasen!

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    1. Ja, oder? Die Hasen sind unglaublich suß!! :-) Danke für deine ermutigende Rückmeldung liebe Yvonne! Segensgrüße zurück!

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  5. Wie wunderbar geschrieben, und WIE WAHR! Ich finde mich total wieder in deinen Zeilen. Danke dafür! Viel Freude an deinen Hasen wünsche ich dir!! Die sind ja ober-süss! Vielleicht sollte ich solche Entschleunigungs-Tierchen auch für uns anschaffen...? Herzlichst Sonja

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    1. "Entschleunigungs-TIerchen" - das klingt wunderbar! Genau so ist es. Unbedingt welche anschaffen!!! :-) Lebste Grüße zu dir und erholsame MOmente in denen wir gemeinsam das "Nichts-tun" und "Zeuge sein" pflegen!

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