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Dienstag, 27. Oktober 2015

zum Glück gezwungen


  
Ich liebe den Herbst, besonders den goldenen Oktober (wenn er so schön ist wie heute), aber auch die nebligen Tage, raschelndes Laub unter den Füßen, wenn es früh dunkel wird und im Ofen in der Küche wieder ein Feuer brennt an dem wir unsere Hände wärmen können.

Es ist die Jahreszeit in der ich es ganz kuschelig und gemütlich machen will. Ich möchte mich am liebsten vor den Unruhen der Welt verkriechen und einen Ort des kleinen Glücks schaffen. Samu kommt mit roten Backen und Taschen voller Kastanien nach Hause, wir essen frischgebackenen Apfelkuchen und genießen den heimeligen Geruch der durch die Wohnung zieht. Dann stelle ich ein paar schöne Fotos auf den Blog, die euch (und mir selbst) zeigen, wie wunderschön das Leben doch ist. 



Schöne Standbilder. Und ja - manchmal ist es tatsächlich so: die stillen Momente des kleinen Glücks, mitten im Alltag (und ich will sie nicht übersehen sondern dankbar aufnehmen). 
Aber es ist nur ein kleiner Ausschnitt. Nicht zu sehen sind zum Beispiel so Dinge wie die dreckige Wäsche, der unaufgeräumte Kleiderschrank oder die Spielzeuge die sich im Regal stapeln und darauf warten dass sie von Heio endlich repariert werden - "Paparieren" nennt es der kleine Sohn:-).


Und die Glücksmomente sind auch meistens nur kurz. Dann gibt es wieder Streit, mich belastet irgendeine Nachricht, die Not von Freunden macht mir zu schaffen, Situationen in denen ich versagt habe bedrücken mich, den kleinen Sohn packt eine unerklärliche Wut, ein "Putzflash" überkommt mich und macht mich ungenießbar, oder ein Migräneanfall haut mich zu Boden, IRGENDETWAS drängt sich unverschämt in unser trautes Heim und trampelt achtlos über den kleinen heilen Ort den ich schaffen wollte. 
jedes Mal wenn ich dieses Haus sehe, träume ich vom kleinen Gück...
Vor ein paar Tagen erreicht mich ein Brief vom Betberg mit Worten der französischen Schriftstellerin Marie Noel die mich total berührt haben. Marie war weit davon entfernt ihr "kleines Glück" auf der Erde zu haben: vergebliches Warten auf die große Liebe, der Tod ihres jüngeren Bruders am heiligen Abend, innere Zerrisenheit und viele Glaubenskrisen. Vielleicht haben deshalb die Worte eine besondere Tiefe? Sie schreibt:

Ich war von bescheidenen Neigungen, dass ich niemals vom Paradies 
und vom vollkommenen Glück geträumt haben würde, 
wenn ich mich nur ganz leise in einem warmen Winkel der Erde hätte einrichten können,
in einem kleinen Haus für mich, 
das der Sommersonne ausgesetzt und im Winter hinter den Scheiben 
voller Licht, Feuer und lieber Gesellschaft gewesen wäre
Wenn dieses sehr kleine Glück gekommen und geblieben wäre,
hätte ich kein Verlangen nach dem Himmel gehabt.
Aber Gott sah für mich größeres als ich selbst.
Er hat mir nicht erlaubt mich auf Erden einzurichten.
Er hat mich gezwungen, Verlangen nach dem Himmel zu haben.
Marie Noel (notes intimes)


Vielleicht kommt diese Unerfülltheit  - wie wir heute unser Leben idealerweise gerne hätten und dem echten Leben das uns geschieht - wie ein ungebetener Gast, der uns still und beharrlich auf ein größeres Glück verweisen kann? 
 Das sind große Worte, ich weiß. Und sie lassen sich nicht mit Blaupause über fremde Leben schreiben. Das kann ich nur für mich selber durchbuchstabieren.

Heute könnte ich üben.

Mich an den guten Momenten freuen.  Aber nicht alles haben wollen. 

 Ein bisschen den Erwartungsdruck rausnehmen an meinen Beziehungen, an meinen Sohn, meine Ehe, an mich selbst. Wir sind nicht vollkommen. Wir stehen alle in der Warteschlange um noch "papariert" zu werden.

Mir eingestehen, dass eine saubere Wohnung, geklärte Beziehungen und abgearbeitete e-mails und to-do Listen nur für einen kurzen Moment auf dieser Erde halten (wenn es überhaupt gelingt!) und nicht zwingend nötig für mein inneres Gleichgewicht sind.

Nicht am Gartenzaun meiner heilen Welt bauen (so wenig wie ich eine Festung Europas möchte!) sondern ein weiches und offenes Herz behalten für die Nöte vor meiner Haustüre.

Nicht den Stimmen zu glauben, die mir sagen dass es vor allem darum geht, mich auf dieser Erde so schön wie möglich einzurichten (und ich dann denke, dass mein Seelefrieden nur durch einen Besuch bei IKEA und einer neuen Sofagarnitur wiederhergestellt werden kann). 

Vom kleinen Glück nicht erwarten, dass es meine Sehnsucht still, sondern dass es vielleicht einfach dazu da ist, meine Sehnsucht zu wecken.
  
Und immer mal wieder mutig meine Sehnsucht und die Unerfülltheit  anschauen. Und mich nicht dagegen wehren, wenn sie mich in ein größeres Glück zwingen. In die Hoffnung. Die Verheissung. Die Vorfreude auf mein wahres Zuhause. Auf den Moment, wenn wir mit einem  erlösenden "ENDLICH!"  in die Arme von Jesus fallen. 
Und alles heil und "papariert" ist.  
Auf ewig.

4 Kommentare:

  1. Liebe Christina,
    wollte schon lange mal danke sagen für deine ehrlichen Gedanken.
    "Papariert" ist eine geniale Wortschöpfung....manchmal halten uns unsre Kids die besten Predigten....
    Liebe Grüße,
    Kathrin

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    1. Liebe Kathrin! Vielen Dank für dein Kommentar-wie schön, dass du hier mitliest! Ach ja, die Kleinen können wirklich manchmal ganz gut "predigen" , ich höre bloß meistens nicht richtig hin;-). Liebste grüße und Segen zu Dir!

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