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Mittwoch, 4. März 2015

look for the helpers!


Der kleine Sohn ist krank. Und ich habe Migräne. Die Tage bestehen aus
Schmerzmittel einwerfen, Wadenwickel anbringen, vorlesen, spielen (ich kann es nicht glauben, dass er auch mit 40° Fieber noch Auto spielen will!), malen, essen, schlafen und sehnsüchtig aus dem Fenster starren. 




Ich wünschte ich könnte schreiben, dass ich das ganz gelassen und demütig so annehme, meine Pläne beiseite schiebe und es als wunderbare Gelegenheit sehe mich nicht zu wichtig zu nehmen und mich ganz auf die Zeit mit meinem Sohn konzentriere, denn - wie oft höre ich diesen Satz: "diese Zeit geht so schnell vorbei, genieße sie, es ist die Beste deines Lebens." 
Und das mag ja tatsächlich stimmen, aber wenn ich gerade vor Müdigkeit und Schmerzen am liebsten in die Tischkante beissen würde, fällt es mir schwer die beste Zeit des Lebens zu genießen.

Ich versuche dankbar zu sein. DOCH WIRKLICH!!! 

Vor einigen Tagen sah ich einen Bericht im Fernsehen über Flüchtlinge im Nordirak. Es war erschütternd. Ich mag mir gar nicht vorstellen wie es dort einer Mutter mit krankem Kind ergeht, ohne Medikamente, ohne Zuhause, ohne Perspektive auf eine Zukunft. Die traurigen Kinderaugen verfolgen mich. Zwei Teenager (deren gesamte Familie vor ihren Augen vom IS erschossen wurde) wollten über ihre Flucht berichten, aber sie konnten nicht reden. Tränen liefen über ihr Gesicht bevor sie sich stumm abwandten. Tief traumatisierte Jugendliche.
Viele meiner Freunde sagen, dass sie so etwas nicht anschauen können. Eigentlich kann ich es auch nicht. Aber was sollen wir tun? Wegschauen?

"Look for the helpers!", sagt Fred Rogers. 

Seine Mutter brachte ihm bei, als er noch ein kleiner Junge war: "Wo immer du Elend siehst, such nach den Helfern!" und es wurde sein Trost, in dem Elend der Welt, dass es tatsächlich immer noch viele Helfer gibt, Menschen die mitten in das Dunkel hineingehen und die Notleidenden umarmen.
Ich suche die Helfer - und finde sie. Ein Konvoi kam in das Flüchtlingslager mit warmen Klamotten aus Norddeutschland. Eine Frau verteilte unter Tränen Pakete für die Kinder. Ein irakischer Pastor kam mit seinem Team und versprach wiederzukommen, mit Benzin und Lebensmitteln. 
Es gibt sie tatsächlich, mitten in der Not - die Helfer.

Und was tue ich? Ich wäre so gerne auch ein Helfer, aber die Kraft reicht nicht weit.
Ich habe nur EIN Kind zu versorgen, muss gerade nicht arbeiten gehen, bin nicht alleinerziehend, lebe in keinem Kriegsgebiet, habe Schmerzmedikamente (alles Dinge für die ich sehr dankbar bin) - und ich fühle ich mich seit Tagen wie ein Dampftopf der kurz davor ist zu explodieren. Heio und ich streiten uns und ich sage Dinge, die ich NIEMALS zu ihm sagen wollte, weil sie so unfair und hässlich sind. Heute mittag habe ich voller Wut meine Hausschuhe in die Ecke geschleudert und bin an die frische Luft gerannt, bevor schlimmeres passiert ist. Ich versuche mich zu beruhigen, weiß nicht woher die ganze Wut kommt.  "Wut entsteht da, wo Schmerz in uns ist", sagte gestern eine Freundin und wahrscheinlich stimmt es. Ich leide, an der Welt, an unseren Schmerzen und vor allem an mir selbst. 

"Look for the helpers!"- mitten in der Not und den Kämpfen, sind sie da. Auch bei mir.
Mein wunderbarer Mann (der gerade viel von mir ertragen muss!), Freunde, meine Schwägerin die uns immer wieder entlastet, meine Seelsorgerin, unsere Mütter die für uns beten (Müttergebete sind niemals, nie, zu unterschätzen!!!) und mein Freund Jesus, der in mein Dunkel geht, mitten in die Wut und den Selbshass. Und dann stellt er eine Kerze auf und strahlt mich an. Mein Helfer. 


Und langsam wird der Druck abgelassen, wie an so einem altmodischen Sikomatik ( den wir von meiner Schwiegermutter bekommen haben - und ich keine Ahnung habe wie er funktioniert) und dann kann ich plötzlich nicht mehr so richtig sauer auf mich sein. Ich lasse mich umarmen und hoffe einfach, dass irgendwann die Kraft wieder reicht damit ich für ein paar mehr Menschen auf unserer wunderbaren, kaputten Welt ein Helfer sein kann. 

Es gibt eine Zeit um zu Helfen und es gibt eine Zeit um sich helfen zu lassen.

Manchmal müssen Helfer lernen, sich selbst helfen lassen. Manchmal braucht es zuerst den Weg in unser eigenes Dunkel, bevor wir uns dem Schmerz der Welt zuwenden. Und die Fähigkeit sich lieben zu lassen scheint eine wichtige Vorrausetzung zu sein um wirklich lieben zu können (und wahrscheinlich werden wir immer "verwundete Helfer" bleiben).
Alles das will und muß ich lernen.

Auch wenn ich heute so gerne mehr wäre - ich will meine Grenzen akzeptieren und mich einfach um zwei Menschen kümmern: um den kleinen Sohn und um mich. Und - auch wenn ich es nicht gerne zugebe: ich schaffe es nicht allein. Ich bin dankbar für meine Helfer.

"Die Schönheit unserer Menschlichkeit ist, dass wir wunderbare Dinge schaffen können aber auch, dass wir erkennen: wir brauchen Hilfe."
Jean Vanier

mein Lieblingshelfer im Asylantenheim. Wie gut, dass es diese Menschen gibt!

2 Kommentare:

  1. Deshalb also habe ich hier sieben Tage vergeblich nach einem neuen Post geschaut. Es tut mir wirklich leid zu lesen, dass es euch grad gar nicht gut geht. Seine eigenen Sorgen mit dem großen Leid in der Welt zu vergleichen finde ich manchmal auch hilfreich um aus evtl. Selbstmitleid rauszukommen. Aber im Grunde finde ich vergleichen eigentlich blöd. Und es IST sehr anstrengend, ein krankes Kind zu pflegen. Selbst wenn es einem gut geht. Wie du mit Migräne überhaupt noch irgendwas TUN kannst finde ich unglaublich. Ich hab zwei kleine Mädchen die sehr selten krank sind, und Migräne kenne ich gar nicht. Mich bringt es schon an meine Grenzen wenn wir mal eine Woche Schnupfen und schlechte Laune haben... Ich wünsche dir Barmherzigkeit mit dir und deinen Lieben und dass es euch bald wieder besser geht.
    Liebe Grüße
    Angela

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  2. Danke, liebe Angela! Gott sei dank geht es uns jetzt langsam besser:-)...und ja, Barmherziger mit mir selbst umgehen- das will ich lernen. Danke für deine Gdanken dazu. Schön, dass du hier immer wieder vorbeischaust. Ganz liebe Grüße zu Dir!!!

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