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Dienstag, 25. Januar 2022

Heimatboden

Es ist ein wiederkehrender Traum der letzten Wochen: Ich bin in meinem Elternhaus. Meine Mutter, mein Vater oder mein Onkel sind auch da. Wir sitzen am Wohnzimmertisch und plötzlich durchfährt mich der Schreck: Wir dürfen doch gar nicht mehr hier sein! Das Haus gehört uns nicht mehr! Und das muss ich den anderen möglichst schonend beibringen und uns dann alle schnell und unauffällig aus der Wohnung lotsen. An der Stelle wache ich meistens erhitzt und mit klopfendem Herzen auf.
 
Ich muss keinen Therapeuten aufsuchen, der mir erklärt, was das bedeutet. Die Sache ist ziemlich offensichtlich. Mein Unterbewusstsein versucht die Tatsache zu verarbeiten, dass ich auf dieser Erde nun keinen Heimatort mehr habe.  Natürlich habe ich ein Zuhause - wofür ich wirklich dankbar bin! - aber der Ort an dem ich mich zutiefst verwurzelt habe, den meine Familie seit drei Generationen mit Leben gefüllt hat , steht mir nicht mehr als Zufluchtsort zur Verfügung. 
Kurz vor Weihnachten haben wir die Schlüssel abgegeben und es ist wahrscheinlich die Endgültigkeit daran, die es zu verarbeiten gilt. Da ist plötzlich ein Stück Trauerarbeit, mit dem  ich so gar nicht gerechnet hätte. Schließlich ist es ja nur ein Haus! Und doch eben so viel mehr als nur ein Haus. Es war im besten Sinn ein Heimatort. So ein Ort entsteht über viele Jahre an denen wir, so wie wir sind, auftauchen können und willkommen geheißen werden; weit über unsere Kindheit hinaus! Wir oft bin ich als junge Erwachsene, nach anstrengenden Dienstwochenenden, heimgefahren, habe mich, ohne große Erklärungen aufs Sofa geworfen und konnte einfach da sein. Wie sehr habe ich es dann genossen,  an der Seite meiner Mutter, meinem Kind die Orte zu zeigen, die ich als Kind entdeckt und geliebt habe. Und mitten in der Coronazeit, als nur noch das Haus da war, wurde es uns nochmal zum Zufluchts- und Segensort. 
 
 


Und nun ist das Kapitel beendet. Arm in Arm mit meiner Schwester bin ich noch einmal durch die Räume gegangen. So viele Bilder, so viele gemeinsam erlebte Geschichten tauchten vor uns auf. Ein letztes Mal standen wir dann, gemeinsam mit unseren Männern, im Wohnzimmer. Wir haben Gott für die Menschen gedankt, die diesen Ort für uns zur Heimat gemacht haben und für alles was wir hier von ihnen empfangen haben (da ist ein Erbe, das so viel mehr Wert hat, als irgendeine Zahl auf dem Bankkonto!). Dann haben wir uns spontan an den Händen gefasst und gemeinsam das Vaterunser gebetet. Es war ein Moment, in dem die Wand zur unsichtbaren, ewigen Welt durchlässig schien. Als hätten sich noch diejenigen dazugestellt, die vor uns gewesen sind und uns mit diesen Worten und dem Glauben gesegnet haben. Als wir dann tränenblind die Treppen hinunterstolperten, dachte ich: Was für ein guter Abschied!
Aber nun fühlt es sich trotzdem noch nicht abgeschlossen an. Es ist als wäre da ein wichtiger Teil von mir entwurzelt und ich trage ihn schutzlos durch die Gegend. Heute, nachdem ich eine kleine Runde über den Boden gelaufen bin, der wahrscheinlich für unser Kind die Heimaterde werden wird, saß ich für eine Weile still auf einer Bank. Im Rücken die Wintersonne. Vor mir mein langer Schatten und ein umgegrabener Acker. Und da war diese sanfte Frage von Jesus:  Willst du deine Wurzeln bei mir einpflanzen? Darf ich dir Heimatboden sein? Darf ich genug für dich sein? Ich höre hin. Spüre wie meine Seele zögert. Ob Jesus wirklich genug ist. Ob ich nicht auch handfesten Boden brauche. Aber ich ahne, dass es hier um mehr geht. Um etwas, was den Nährstoffgehalt jedes Bodens dieser Welt weit übersteigt. Es geht um den Ort, wo wir immer willkommen sind. Zufluchtsort. Wo wir sein dürfen. Mit Licht und Schatten. Wo wir vorbehaltlos und immer geliebt werden. Wo alle unsere Geschichten erwartet, gesehen und vollendet werden. Wieder kommt mir das Zitat von Henry Nouwen in den Sinn, das ich schon öfters zitiert habe:
Unser wahres Sesshaftwerden besteht darin, 
immer tiefer in dem Herzen Jesu zu ruhen.
Nun hat ein neues Kapitel und ein neues Jahr begonnen. Und in dieser Winterruhe, in der Zeit in denen die Ackerböden noch einmal ganz tief umgegraben werden, will ich mein Herz ganz  neu Jesus hinhalten. Ich hoffe, dass er mich einpflanzt und verwurzelt und ich neu aufblühen kann in dieser Liebe, die mir genug sein will. Und dass hier langsam die Frucht aufwachsen kann, nach der ich mich so sehne: Dass auch ich genug bin. Dass ich sein darf. Weil mein unruhiges Herz seinen Heimatboden gefunden hat. In Jesus.
 
 

Donnerstag, 20. Januar 2022

5000 Gründe

Heute feiere ich ein kleines Jubiläum:  Ich bin beim 5000. Grund in meinem Danke-Buch angekommen! (hier habe ich über den 1000.  geschrieben) Es ist so etwas wie eine Halbzeitpause, einfach weil so gerne dieses Lied mal von ganzem Herzen mitsingen will: Von deiner Güte will ich immer singen, 10 000 Gründe gibst du mir dafür :-). 
Aber wahrscheinlich schreibe ich auch nach dem 10 000 Grund noch weiter. Weil ich merke, dass mir das Aufschreiben so gut tut. Es ist nämlich keine große Leistung und ich will hier nicht wirklich mit irgendwelchen Zahlen prahlen. Als ich vor drei Jahren das erste schöne Notizheft gekauft, hat es zwar ein paar Wochen gedauert bis die Dankesliste zur festen Gewohnheit wurde, aber nun ist es immer ein echter Segensmoment des Tages, auf den ich  mich freue. Egal wie es mir geht und wie wenig dankbar ich mich gerade fühle: Spätestens wenn ich beim dritten Punkt angelangt bin, merke ich wie reich mein Leben ist. Und gleichzeitig denke ich dann auch, dass es ja kein Wunder ist, dass ich dankbar bin, und ach ja, warte nur mal ab wenn die richtig harten Zeiten kommen, was dann passiert.... und ein Teil von mir muß dem auch kleinlaut zustimmen. Aber nun, in dieser kleinen Halbzeitpause, kommt mir noch ein ganz anderer, und viel hellerer Gedanke: Vielleicht bin ich nicht (nur) deshalb dankbar weil mein Leben so reich ist, sondern vielleicht empfinde ich mein Leben so reich, weil ich der Dankbarkeit Raum gebe. Langsam wird sie eine vertraute Mitbewohnerin, die immer wieder ihren Teil zu einer guten Atmosphäre in unserem Haus beiträgt - was mir mein Mann tatsächlich auch bestätigt! Natürlich ist da noch ganz viel Platz nach oben (was mein Mann ebenfalls bestätigt ;-)) aber ich bin ja erst mittendrin und  wie mir gestern ein trauriger Fussbalfan erklärt hat, der bereits in der ersten Halbzeit ins Bett musste: "In der zweite Halbzeit passieren immer die besten Sachen, Mama!" Da bin ich ja mal gespannt.
Und für diese latente Angst, die immer wieder wie ein miesepetriger Nachbar neben mir auftaucht, dass um die Ecke schon die schweren Zeiten warten - und  warte nur ab, das dicke Ende wird schon noch kommen! - habe ich diese Worte ganz persönlich genommen, die ich kürzlich in einer Predigt von Johannes Hartl gehört habe:
Du hast ein reiches Leben!
Reich an Menschen, Farben und Begegnungen.
Und auch in schweren Zeiten gibt es Lebensreichtum!
Es muß nicht immer Frühling sein und nicht jeder Traum wird wahr.
Du bist aber immer umgeben von Liebe.
Gott hat immer Lebensreichtum für dich.  
Das will ich glauben. Und ich erlebe es ja jetzt schon, auch an den weniger guten Tagen: Ich bin immer umgeben von Gottes Liebe.  Und: Er hat immer Lebensreichtum für mich! Manchmal muss ich danach graben - mit meinem Stift als Spaten! - und machmal liegt der Reichtum so offensichtlich vor meiner Nase, dass ich gar nicht lange danach suchen muß:

5001. Morgenhimmel


5002. die Männer von der Müllabfuhr


5003. Präsenzunterricht. Zeit zum Schreiben.

5004. Ein Stück Himmel in der Post! 


5005. Einladung zum Freundinnenfrühstück. Dass ich Freundin sein darf.

5006. Sonnenstrahlen auf dem Mittagstisch 


 

5007. Winterbäume. Knorrig und wunderschön. (so altert man in Würde)


5008. erste Weidenkätzchen 



5009. Ein Naturfilm über die Nordsee, der uns zum Staunen bringt, mit launigem Kommentator (über einen Hummer: "Diesen Kollegen kennt man sonst nur auf Eis, am Galabüffet!")

5010. Tolle Kinderbücher zum Vorlesen, die einen lebendigen, fragenden Glauben vermitteln


5011. Der Herrnhuter Stern, der uns abends leuchtet

 

5012. EIn "Ich hab dich lieb" am Ende des Tages.

Mittwoch, 12. Januar 2022

Mach langsam.

Ein neues Jahr hat begonnen und es klingt ganz beschwingt: 2022! Ich muß zugeben, dass ich mich  nicht ganz so beschwingt fühle. Geht es euch auch so? Der Neustart fällt mir in diesen Tagen so richtig schwer. Nicht nur die ersten Sätze beim Schreiben. Auch das Aufstehen am Morgen nach den Ferien. Oh, wie haben wir an das schöne Ausschlafen und die langsamen Tage gewöhnt! Und nun soll alles schon vorbei sein? Auch mein digitales Fasten geht nun ganz plötzlich zu Ende. Die 4-wöchige Pause hat gut getan. Die Erkenntnis, dass es so gut ohne mich geht. Dass viele Informationen, Kontakte und Gruppenmitgliedschaften nicht nur belebend und gut sind, sondern manches auch zu viel für die Kapazität meiner Seele geworden ist. Jetzt bin ich vorsichtig wieder eingestiegen und es fühlt sich an wie mit dem ganzen Rest meines derzeitigen Lebens: Am liebsten würde ich mich noch eine ganze Weile unbemerkt in die letzte Reihe setzen und langsam zu mir kommen.

Gestern, auf dem Weg zur Post, ist mir eine Freundin begegnet, die gerade ihr Sabbatjahr macht. Wir haben uns kurz unterhalten und ich habe etwas von ihrer frischen Freude eingeatmet, dass noch einige weitere Monaten vor ihr liegen, in denen sie sich ausgiebig Zeit gönnen kann. Auch Heio ist dabei eine längere Sabbatzeit für die zweite Hälfte dieses Jahres zu planen und ich kann spüren, wie ihm das jetzt schon eine leichtere Gangart gibt. Ach, wir brauchen Pausen! Nicht nur die kurzen sondern gerade auch die ausgiebigen Ruhezeiten, die uns nicht nur ein paar Tage Unterbrechung vom Alltag sondern "Rekreation" schenkt - dieses alte Wort für Ruhe. Tomas Sjödin schreibt so gut darüber:

Rekreation bedeutet wörtlich "neu schaffen", "noch einmal schaffen"...und genau wie die Erschaffung der Erde nicht nach einer Woche abgeschlossen war, so müssen auch unser inneres Leben und unsere Gedanken umgestaltet und erneuert werden, immer und immer wieder.  Genau das ist Re-kreation. Wir entscheiden uns für das Nichtstun und lassen das, was dann geschieht, mit uns geschehen. Wir ruhen vom Fortschritt, von allen Verbesserungen und Veränderungen und lasssen alles für eine Weile so wie es ist. Und verrückterweise kann daraus etwas wachsen, ganz  unverkrampft. Wir lassen uns selbst, unsere Wege und Entscheidungen in gewissem Maße neu schaffen.

 (T.Sjödin in: Warum Ruhe unsere Rettung ist) 

Während ich das hier aufschreibe spüre ich diese Sehnsucht in mir nach Rekreation. Nicht nur ein paar Ferientage zu haben, in denen wir mal wieder ein bisschen aufatmen können, um dann genauso weiterzumachen wie vor der Pause, sondern noch ein wenig länger still zu halten, damit etwas in mir umgestaltet werden kann und vielleicht etwas ganz  neues aufwächst.  Nun kann ich natürlich nicht einfach die Ferien für mich und das Kind noch ein paar Wochen verlängern. Leider. Aber ich könnte in einem ruhigen Tempo beginnen und auf meinen Körper hören, der seit einigen Tagen ganz laut "Mach langsam! Bitte!" ruft.  Zu oft in meinem Leben habe ich alles in mir ignoriert und bin losgespurtet, nur um dann hinter der ersten Kurve wieder erschöpft zusammenzubrechen.

Über der Schöpfung liegt in diesen Tagen eine Ruhe, die auch noch einige Wochen anhalten wird. Es ist eine Einladung, an alle Geschöpfe dieser Erde, noch ein bisschen dabei zu sein. Kerzen anzünden. Wintertee trinken. Gedanken aufschreiben. Hinhören. Unserer Sehnsucht nachspüren. Kleine Spaziergänge am Abend machen. Die Stille und das Warten das  noch über der Natur liegt, aufnehmen. Nicht zu früh mit dem Frühjahrsputz starten oder die Dinge schnell aufholen wollen, die liegengeblieben sind.  Vielleicht können wir einfach alles noch für eine Weile so lassen wie es ist. Die Sterne am Fenster und das Laub auf den Blumenbeeten, wo sich unter der Stille schon neues Leben formt. 

Re-kreation.

Ganz still fängt Gott neu mit uns an.